Mein Leben ohne Limits
die Sicht auf sein Leben dramatisch. Du kannst dir sicher vorstellen, wie sehr mich diese Geschichte als Teenager gepackt hat. Ich wusste genau, wie es ist, anders zu sein. Behindert. Abhängig.
Plötzlich ging auch mir ein Licht auf. Ich war keine Bürde. Ich war nicht fehlerhaft. Ich war so, wie ich bin, damit Gottes Kraft an mir sichtbar wird!
Als ich mit fünfzehn diese Stelle in der Bibel las, überrollte mich eine innere Welle des Friedens. Ewig hatte ich mit der Frage gekämpft, warum ich ohne Gliedmaßen geboren werden musste. Jetzt wurde mir klar, dass die Antwort niemand anderes wusste außer Gott. Ich musste das einfach akzeptieren und auf die Möglichkeiten sehen, die mein Leben bot und die er für mich bereithielt.
Bis heute weiß niemand, warum ich so bin. Genauso wenig wie der Blinde es wusste. Aber keiner von uns beiden ist umsonst auf die Welt gekommen.
Meine neue Erkenntnis gab mir Lebensfreude und das Gefühl von Kraft. Zum ersten Mal war mir klar geworden, dass ich nicht Gottes vergessenes Kind war. Der Blinde wurde übrigens geheilt, um seiner neuen Bestimmung zu folgen. Bei mir blieb die Heilung zwar aus, aber ich schöpfte neuen Mut. Meine Aufgabe würde sich schon irgendwann auftun.
Wie schön wäre es, alle Antworten immer gleich zu bekommen. Aber das Leben ist nicht so. Man muss lernen, Geduld zu haben und zu vertrauen. Ich musste es mir erarbeiten, an die Möglichkeiten in meinem Leben zu glauben. Aber wenn ich das geschafft habe, schaffst du das auch.
Es ist schon verrückt: Als Kind hätte ich mir nie vorstellen können, dass meine fehlenden Gliedmaßen mir einmal helfen würden. Aber dank ihnen kann ich in vielen Ländern der Erde meine Geschichte erzählen und den Menschen Mut machen. Ich will hier nichts beschönigen. Die schweren Zeiten und die Enttäuschungen sind kein Spaß. Es wäre falsch, so zu tun, als machte mir das alles nichts aus. Aber ich glaube einfach daran, dass am Horizont immer gute Zeiten warten.
DER FESSELKÜNSTLER
Was dabei herauskommt, wenn man an seine Bestimmung glaubt, sah ich zum ersten Mal während einer Schulversammlung. Damals hörte ich meinen ersten Motivationsredner. Er war Amerikaner, hieß Reggie Dabbs und hatte ein hartes Stück Arbeit vor sich. Eintausendvierhundert Kinder musste er auf seine Seite bringen. Die Luft war heiß und stickig. Unsere alte Tonanlage knisterte und knackte und versagte manchmal ganz den Dienst.
Die Schüler waren zuerst unruhig, aber dann fesselte er uns mit seiner Geschichte. Er erzählte uns, dass seine Mutter eine unverheiratete und minderjährige Prostituierte aus Louisiana war. Sie hatte ihr „kleines Problem“ eigentlich mit einer Abtreibung lösen wollen. Zum Glück für Reggie trug sie das Kind dann doch aus. Weil sie weder Familie noch Obdach hatte, zog sie in einen Hühnerstall.
Eines Abends saß sie dort verängstigt und allein, als ihr eine frühere Lehrerin einfiel. Die Frau war sehr fürsorglich gewesen und hatte ihr angeboten, sie solle sich melden, wenn sie je Hilfe brauchen sollte. Die Lehrerin hieß Mrs Dabbs. Sie kam sofort mit dem Auto aus Tennessee gefahren, sammelte das schwangere Mädchen ein und nahm sie bei sich zu Hause auf, wo sie mit ihrem Mann und sechs erwachsenen Kindern lebte. Mrs Dabbs und ihr Mann adoptierten den kleinen Reggie später und gaben ihm ihren Nachnamen.
Das Ehepaar, erzählte Reggie, gab ihm starke moralische Werte mit auf den Weg. Eine der wichtigsten Lektionen, die er lernte, war: Egal, wie die Situation oder die Umstände sind, du hast immer die Wahl. Du kannst positiv darauf reagieren oder negativ.
Reggie erklärte, dass er fast immer die richtigen Entscheidungen treffen konnte, weil er an eine gute Zukunft voller Möglichkeiten glaubte. Er verspürte gar keine Lust auf schlechte Dinge. Es wartete doch so viel Gutes auf ihn! Ein Satz von Reggie verfehlte seine Wirkung nicht: „Die Vergangenheit kannst du nicht ändern. Die Zukunft schon!“
Diesen Satz nahm ich mir zu Herzen. Alle Schüler waren berührt von seiner Geschichte. Reggie Dabbs war auch ein weiterer Grund dafür, dass in mir der kleine Wunsch Fuß fasste: Ich wollte auch Redner werden. Dass ein einzelner Mann innerhalb von wenigen Minuten eine große, zappelige Schülerschar so positiv beeindrucken konnte, faszinierte mich. Außerdem gefiel mir die Tatsache, dass er um den Erdball jettete, nur um zu Leuten zu sprechen. Der Mann weckte Hoffnung und wurde dafür noch bezahlt!
Auf dem Weg nach Hause
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