Mein Leben
schrieben – Militärgeheimnisse verraten wurden, ob also Angaben über die verwendeten Waffen enthalten waren oder über den Standort der jeweiligen Einheit. Überdies sollten Briefe mit mysteriösen oder unverständlichen Mitteilungen und Anspielungen nicht durchgelassen werden. Alles, was dem Zensor bedenklich vorkam, hatte er einem Oberzensor vorzulegen, der sich, wenn er nicht selber entscheiden konnte, an einen Inspektor wenden sollte.
Da in der polnischen Armee unter sowjetischem Oberbefehl Abiturienten nur sehr selten zu finden waren und nicht einmal von Offizieren das Abitur erwartet wurde, hat man uns, obwohl wir doch von dem Dienst in der Zensur keine Ahnung hatten, sofort befördert: Tosia wurde Oberzensorin, ich – Inspektor. An der Spitze der Einheit standen, wie damals üblich, zwei von der sowjetischen Armee delegierte Offiziere, die polnische Uniformen trugen und sich zur Not auch polnisch verständigen konnten. Daß es besonders intelligente Offiziere waren, konnte man beim besten Willen nicht sagen.
Wenn ich mich recht entsinne, gab es in der Zeit, in der wir in der Militärzensur tätig waren, keinen einzigen Fall von ernstzunehmendem Geheimnisverrat. An Kuriosem fehlte es nicht. Da man in Moskau schon einen kommunistischen deutschen Staat plante – Ulbricht und seine Leute bereiteten sich auf die Reise nach Berlin vor –, da Stalins schöne Losung galt, daß die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibe, waren mitten im Krieg gegen Deutschland antideutsche Äußerungen in Feldpostbriefen, sogar die harmlosesten, strengstens untersagt. Die Soldaten durften nicht schreiben: »Der Teufel hole alle Deutschen« oder »Wir jagen die deutschen Banditen«, vielmehr »Der Teufel hole alle Nazis (eventuell alle Hitleristen)« oder »Wir jagen die nazistischen, die hitlerschen Banditen«. Verwendete ein treuherziger Soldat das Wort »deutsch« in einem geringschätzigen, gar bösartigen Zusammenhang, dann mußte es von dem Zensor mit Hilfe von Tinte unleserlich gemacht werden. Das intellektuelle Niveau der Zensur und deren technische Hilfsmittel hielten sich die Waage.
Dunkle Formulierungen, die die Zensoren auf den Plan riefen, fanden sich besonders oft in Briefen weiblicher Angehöriger der Armee. Da las man: »Mein Indianer kommt nicht.« Oder: »Ich bin sehr unruhig, denn der Chinese läßt sich nicht blicken.« Ferner: »Alle meine Anstrengungen sind vergeblich. Weißt Du nicht, wie man die Sache in Schwung bringen könnte?« Nach langwierigen Bemühungen wurde das Rätsel gelöst: Es ging immer um die ausbleibende Periode. Man konnte meinen, das größte Geheimnis der polnischen Armee sei die Menstruation. Dies habe ich damals gelernt: Die von Geheimnissen umwitterten Institutionen verdanken ihren Ruf in der Regel den Legenden, die über sie verbreitet werden und die sie selbst in Umlauf bringen. Lernt man sie von innen kennen, enttäuschen sie immer. Letztlich wird überall nur mit Wasser gekocht. Wenn die Postzensur der polnischen Armee Spürsinn und Kennerblick erforderte, dann höchstens von den Chefs. Bald war ich überzeugt, daß die Arbeit in der Zensur nicht nur stumpfsinnig und langweilig war, sondern auch ganz und gar überflüssig.
Nach einigen Tagen mußten die in der Militärzensur Beschäftigten eine Erklärung unterschreiben, daß sie ausnahmslos alles, was mit dem Dienst zusammenhing, geheimhalten würden. Das war ein Routinevorgang ohne jede Bedeutung. Aber erst diesem hektographierten Blatt konnte ich entnehmen, daß ich in eine Einheit geraten war, die zwar der polnischen Armee angehörte, jedoch der Aufsicht des Ministeriums (noch hieß es: Ressort) für Öffentliche Sicherheit unterstand. Dies machte auf mich überhaupt keinen Eindruck, ich unterschrieb die Erklärung, ohne zu zögern: Denn ob die Zensur von dieser oder jener Behörde beaufsichtigt wurde, schien mir eine bürokratische Angelegenheit und kümmerte mich nicht. Indes hatte die Sache für meine berufliche Laufbahn in den nächsten Jahren Folgen, die ich nicht geahnt habe und die von großem Interesse für mich waren.
Zunächst wurde ich, im Januar 1945, von der Militärzensur in jenem elenden Dorf endlich erlöst und in die Zentrale der Kriegszensur in Lublin versetzt und wenig später nach dem eben erst befreiten Kattowitz delegiert, wo ich die Zensur zu organisieren hatte. Ich tat dies zum Entzücken meiner Vorgesetzten so schnell, daß sie bald arbeitsfähig war, doch vorerst ohne Arbeit –
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