Mein Leben
folgte bald die Gleichschaltung der Ostblockländer. Der Führer der polnischen Kommunisten, Wladyslaw Gomulka, dem man vorwarf, er suche einen »polnischen Weg zum Sozialismus«, wurde gestürzt. Die Nachfolge hat man in Moskau auf so originelle wie überraschende Weise gelöst: Bolesław Bierut, ein Mann, über dessen politische Vergangenheit man nichts wußte (es hieß, er sei vor dem Krieg Gewerkschaftsfunktionär gewesen), spielte in Polen die Rolle des überparteilichen Staatspräsidenten. Jetzt entpuppte er sich als alter polnischer Kommunist und wurde über Nacht nicht nur Mitglied der Kommunistischen Partei Polens, sondern zugleich auch ihr Erster Sekretär. Nach der Zwangsvereinigung der beiden großen Parteien, der kommunistischen und der sozialdemokratischen, stand Bierut automatisch an der Spitze der »Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei«. So waren die Kommunisten jetzt offiziell die Alleinherrscher des Landes: Auf die relativ liberale Periode der ersten Nachkriegszeit folgte die Zeit des Stalinismus in Polen.
Meine Situation in London wurde immer schwieriger. In den Hauptstädten verschiedener Ostblockländer fanden politische Schauprozesse statt, die auf beunruhigende „Weise an die Moskauer »Säuberungsprozesse« der dreißiger Jahre erinnerten. Bei manchen (etwa dem Rajk-Prozeß 1949 in Budapest) waren die antisemitischen Akzente unverkennbar. Wir waren entsetzt. Und aufs tiefste erschreckte uns, was sich in unserer unmittelbaren Umgebung abspielte. Wir waren in London mit Paula Born befreundet, einer kultivierten und gebildeten Frau, die in der polnischen Botschaft das Amt des Ersten Sekretärs versah. Sie war während eines Aufenthalts in Warschau im Sommer 1949 verschwunden. Bald erfuhren wir, daß man sie verhaftet hatte. Sie wurde verdächtigt, während des Krieges in der Schweiz für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Sie blieb einige Jahre im Gefängnis – ohne Prozeß, ohne jeglichen Grund.
Wir hatten allen Anlaß, Angst zu haben, zumal ich sehr bald als »kosmopolitisch« galt. »Kosmopolitismus« war ein in der kommunistischen Presse immer häufiger verwendetes Schimpfwort, mit dem man Intellektuelle bedachte, die man nicht für hinreichend linientreu hielt. Ich hatte die Sache des Kommunismus noch nicht ganz aufgegeben, aber meine Illusionen waren schon erheblich kleiner geworden. Bei einem Besuch in Warschau fragte ich in der Zentrale des Nachrichten-Auslandsdienstes, ob meine Tätigkeit in London überhaupt noch erwünscht sei. Man werde mir innerhalb von einigen Wochen Bescheid geben – bekam ich zu hören. Ich wartete nicht ab, ich bat um meine Abberufung. Meine Vorgesetzten waren zufrieden.
In diesen Jahren geschah es nicht selten, daß Diplomaten kommunistischer Staaten (auch polnische Diplomaten) nach ihrer Abberufung die Rückkehr verweigerten oder, wenn sie im Westen auf Dienstreise waren, absprangen: Sie wählten die Freiheit – wie man zu sagen pflegte. Auch wir hätten in England bleiben oder in die Vereinigten Staaten oder nach Australien fliegen können. Die Wahrheit ist: Wir haben eine solche Möglichkeit überhaupt nicht erwogen. Wir hielten es für eine Anstandspflicht, nach Polen zurückzukehren. Warum eigentlich?
Vielleicht hatte das mit meiner Berliner Jugend zu tun, mit dem preußischen Gymnasium: Dort hatte man mir beigebracht, daß man unter allen Umständen loyal zu sein habe und daß niemand verächtlicher sei als der Verräter. Aber noch ein ganz anderer Faktor mag eine Rolle gespielt haben: Ich mußte damit rechnen, daß man einen Mann des Geheimdienstes, der im Westen bliebe, verfolgen und vielleicht auch aufspüren würde – und daß sein Schicksal dann sehr bitter sein könnte.
War es falsch, war es töricht, nach Polen, einem inzwischen eindeutig Stalinistischen Staat, zurückzukehren? Leichtsinnig war es auf jeden Fall. Wie auch immer: Im November langten wir alle drei in Warschau an. Alle drei? In der Tat, die dritte Person war unser in London geborener Sohn, noch nicht ein Jahr alt. Daß es mir nach der Rückkehr nicht gut ergehen werde, war sicher. Aber es kam härter, als ich dachte. Ich wurde innerhalb von wenigen Wochen sowohl aus dem Außenministerium als auch aus dem Sicherheitsministerium entlassen. Und ich landete in einer Einzelzelle. Aber man tat mir dort nichts, man verhörte mich auch nicht. Ich saß und wartete, und ich hatte Zeit genug, um nachzudenken.
Mit meinen 29 Jahren hatte ich schon sehr viel erlebt, in
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