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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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irgendwelchen Geheimnissen waren sie nicht interessiert. Offensichtlich hielten sie den polnischen Geheimdienst in jener ersten Nachkriegszeit für kein seriöses Thema. Das alles sei damals – deuteten sie etwas gönnerhaft an – eher läppisch und lächerlich gewesen. Ich hatte keinen Grund, ihnen zu widersprechen.

 
Brecht, Seghers, Huchel und andere
     
    Man konnte Anfang der fünfziger Jahre durchaus in Polen leben, ohne Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein. Aber wer einmal der Partei angehört hatte und aus ideologischen, aus politischen Gründen verstoßen worden war, der lebte in einer fatalen Situation. Und doppelt fatal war die Situation des aus der Partei Ausgeschlossenen, der auch noch im Gefängnis gesessen hatte. Ich war verfemt und bekam es täglich zu spüren. Wenn mich Bekannte auf der Straße sahen, machten sie plötzlich einen großen Bogen um mich, sie zogen es vor, mich nicht mehr zu kennen. Sie hatten gute Gründe. Schließlich war es nicht sicher, ob man so einen wie mich nicht wieder verhaften würde. Dann konnte man vorgeladen und wegen zweifelhafter Kontakte vernommen werden. Immerhin waren nicht alle so vorsichtig, wir hatten einige Freunde, die es wagten, zu uns zu halten.
    So waren diese Wochen und Monate in hohem Maße dramatisch; und sie wurden bald aufregender, als ich es mir je hätte denken können. Tosia hat man in einem vertraulichen Gespräch nahegelegt, sich von mir abzuwenden und sich auch gleich offiziell scheiden zu lassen. Sie lehnte das Ansinnen der Partei ohne Begründung ab. Kurze Zeit darauf erlitt sie einen schweren, äußerst heftigen Nervenzusammenbruch. War es eine Spätfolge ihrer Erlebnisse während der deutschen Okkupation? Oder hatte dieser Zusammenbruch eher damit zu tun, was sie nach unserer Rückkehr aus London durchmachen mußte? Die Ärzte waren sicher, daß beides zutraf und sich gegenseitig steigerte. Nach mehreren Wochen im Krankenhaus konnte sie zwar entlassen werden, mußte aber noch viele Jahre in medizinischer Behandlung bleiben. Wenig später erhielt sie einen nicht uninteressanten Redakteursposten im Polnischen Rundfunk.
    Auch ich war nicht arbeitslos. Es war üblich, daß die Partei jenen, die sie ausgeschlossen hatte, irgendeine Tätigkeit vermittelte – man wollte verhindern, daß sie zu Feinden wurden oder verhungerten. Ich wurde gefragt, was ich denn tun wolle. Es sei mein Wunsch, in einem Buchverlag zu arbeiten, und zwar in einem, in dem deutsche Literatur publiziert werde. Mein Gesprächspartner war vollkommen verblüfft und offenkundig ratlos. Derartiges, stellte sich heraus, hatte noch niemand gewünscht.
    Ich wurde dem Verlag des Verteidigungsministeriums zugewiesen, einem großen Haus, das auch Belletristik veröffentlichte. Aber ein Lektorat für deutsche Literatur gab es dort, wie sich bald zeigte, vorerst noch nicht. Nach dem Krieg hat man in Polen alles Deutsche geächtet, auch die Sprache – und darüber kann sich nur wundern, wer keine Ahnung hat, was sich in Polen in den Jahren von 1939 bis 1945 ereignet hat. Wenn ich irgendwo deutsch redete, bekam ich zu hören, daß ich es unterlassen solle, mich der Sprache Hitlers zu bedienen. Es fiel mir nicht schwer, solche Leute streng zur Ordnung zu rufen: Es handle sich, sagte ich, um die Sprache von Marx und Engels – damit war der Fall erledigt.
    Nach manchen Bemühungen hatte ich die Verlagsleitung von der Notwendigkeit eines deutschen Lektorats überzeugt: Das konnte mir nur gelingen, weil schon die DDR existierte. Nur dort erschienene Titel kamen für dieses Lektorat in Betracht. Immerhin durfte ich neben Büchern von DDR-Autoren wie Willi Bredel und Bodo Uhse auch einige Bände von Egon Erwin Kisch publizieren. Eines Tages, es war Anfang Juni 1951, fragte mich eine Kollegin, eine gute Übersetzerin, ob ich vielleicht wisse, wer Gerhart Hauptmann sei. Sie habe einen Auftrag des Polnischen Rundfunks angenommen, einige Maschinenseiten aus Anlaß seines fünften Todestags zu verfassen, und brauche Hilfe. Ich lieferte ihr am nächsten Tag einige rasch geschriebene Seiten über Hauptmanns Größe und Schwäche. Sie war sehr zufrieden und fragte mich, warum ich mich nicht als Kritiker betätige.
    Das fragte ich mich selbst, rezensierte ein gerade in polnischer Sprache erschienenes deutsches Buch und schickte das Manuskript der besten Wochenzeitung des Landes, der »Nowa Kultura«. Zu meiner Überraschung wurde es prompt gedruckt, mehr noch: Man bat mich, regelmäßig die in

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