Mein Leben
deutsche Literatur in der Zeit der nazistischen Finsternis« versehen. Auf diese Broschüre mußte der Verlag jetzt verzichten, was ihm durchaus nicht paßte. Nach seinen hartnäckigen Bemühungen wurde meine belanglose Broschüre doch erlaubt – aber mein Name mußte verschwinden. Da ich von einem Pseudonym nichts wissen wollte (es wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen), einigte man sich auf einen Kompromiß: Statt meines Namens wurden auf dem Umschlag und auf der Titelseite lediglich die Initialen »M.R.« gedruckt.
In materieller Hinsicht ging es uns kümmerlich, denn Tosias Gehalt reichte nicht aus. Wir wohnten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung: In einem Zimmer hauste unser Sohn, das andere war unser Eß- und Schlafzimmer und zugleich mein Arbeitszimmer. Übrigens hat uns eine Putzfrau schon nach kurzer Zeit den Dienst verweigert: Sie könne nicht in einem Haushalt tätig sein, in dem die Frau täglich zur Arbeit gehe, der Mann aber immer zu Hause sitze und Romane lese.
Von Zeit zu Zeit schickte uns meine Schwester, der es auch nicht gutging, Pakete aus London. Das war die Regel: Fast alle unsere Freunde erhielten von Verwandten in westlichen Ländern Pakete vor allem mit Kleidungsstücken, die in Polen in guter Qualität überhaupt nicht zu haben waren. Wer niemanden in der kapitalistischen Welt hatte, war übel dran.
In der schwierigen Situation kam mir ein Zufall zu Hilfe. Alfred Kantorowicz, Ostberliner Publizist und Professor an der Humboldt-Universität, besuchte Warschau. Das deutschsprachige Programm des Polnischen Rundfunks wollte ein Gespräch mit ihm senden. Man fragte mich, ob ich bereit wäre, mit ihm zu reden. Ich wollte es gern machen, nur mußte ich die Leute vom Funk darauf hinweisen, daß ich nicht publizieren dürfe. Das wußten sie natürlich und hatten sich schon eine Sondergenehmigung verschafft. Allerdings unter zwei Bedingungen: Mein Name durfte nicht genannt werden, und ich durfte auf keinen Fall an Live-Sendungen teilnehmen – man befürchtete offenbar, ich könnte plötzlich etwas Abfälliges über die Regierung oder den Kommunismus sagen.
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in einem Rundfunk-Studio, zum ersten Mal habe ich ein Tonbandgerät gesehen. Der Redakteur sagte mir: »Wenn das rote Lämpchen aufleuchtet, legen Sie los, und nach genau fünfzehn Minuten schließen Sie ab.« Das waren alle Instruktionen und Belehrungen, die mir zuteil wurden. Meine Plauderei mit Kantorowicz muß gefallen haben, denn man bot mir an, laufend derartige Funkgespräche mit deutschen Gästen zu machen. So interviewte ich immer wieder Schriftsteller und Journalisten, Musiker, Theaterleute und Verleger. Sie kamen in der Regel aus der DDR. Meist beteuerten sie, daß sie Warschau bewunderten und die Polen selbstverständlich liebten.
Zu den Gästen, die mir in Erinnerung geblieben sind, gehört der Dirigent Heinz Bongartz, der Chef der Dresdner Philharmonie. Ich kam auf die Idee, nicht nur ein Gespräch mit ihm aufzunehmen, sondern auch einen Ausschnitt seiner Probe mit den Warschauer Philharmonikern. Auf dem Programm stand Schuberts große Symphonie in C-Dur. Schon nach der berühmten Hornpassage im ersten Satz klopfte Bongartz unzufrieden ab: »Nein, meine Herrn, so geht das wirklich nicht. Was die Hörner hier singen – das ist ja das romantische, das deutsche Naturempfinden. Ich bitte Sie, diese herrliche Passage kräftiger und inniger zu blasen, mit mehr Gefühl, meine Herrn. Das sollte unbedingt voller und auch mächtiger klingen. Hier, an dieser Stelle, muß man den deutschen Wald sehen.« Der Konzertmeister, der als Dolmetscher fungierte, stand auf, wandte sich an die Bläsergruppe und rief polnisch: »Hörner lauter.« Da Bongartz gerade etwas in seiner Partitur notierte, fiel ihm offenbar nicht auf, daß die polnische Übersetzung seiner Wünsche erstaunlich kurz ausgefallen war. Er ließ die Stelle noch einmal spielen – und klopfte wieder ab: »Jawohl, meine Herrn Hornisten, das war großartig, das war genau das, was ich wollte.« Wann immer ich in späteren Jahren Orchestermusiker hörte, die über viel redende Dirigenten klagten, mußte ich an Heinz Bongartz denken und an jenen polnischen Konzertmeister, der sich als ein Meister der knappen Zusammenfassung erwiesen hatte: »Hörner lauter.«
Von der Funkarbeit, die nicht ganz uninteressant war und die mir nicht schwerfiel, konnten wir in der Zeit, in der ich nichts publizieren durfte, leidlich leben – natürlich zusammen
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