Mein Leben
ausgestellte Bescheinigung, die ihr das Leben retten sollte. Der Hinweis, daß es im Warschauer Getto keine anderen Trauungen gegeben habe und daß bisher diese Bescheinigung stets anerkannt worden sei, half uns nicht weiter.
Aber wir wurden beruhigt: Das notwendige gerichtliche Verfahren sei ganz einfach, nur werde es etwa drei Monate dauern. Indes sollte die Reise nach Moskau und Leningrad schon in zwei Wochen beginnen. Da verfiel ich auf einen, wie mir schien, geradezu kühnen Gedanken. Wenn es tatsächlich zuträfe – sagte ich dem Beamten –, daß meine Frau überhaupt nicht meine Frau sei, dann könne ich doch meine Frau heiraten. Ja – antwortete er mir –, selbstredend, vorausgesetzt, daß wir die beiden Geburtszeugnisse hätten.
Am nächsten Tag haben wir – wieder einmal – geheiratet. Das Ganze wurde von dem Beamten, einem noch jungen Mann nicht ohne Witz, zügig erledigt. Er wünschte uns freundlich alles Gute, wir durften gehen. Auf der Straße sahen wir uns ratlos an und auch bekümmert. Nein, fröhlich waren wir nicht – wohl deshalb, weil wir beide an dasselbe dachten, an jenen 22. Juli 1942, als die Ermordung der Juden Warschaus begann und wir zum ersten Mal geheiratet haben. Schweigend gingen wir einige Schritte, unsicher, wohin wir uns wenden, was wir jetzt tun sollten. Dann habe ich mich besonnen – und ich habe Tosia geküßt. Sie sah mich mit traurigem Blick an und sagte leise: »Laß uns ein Cafe suchen.«
Zwei Wochen später fuhren wir mit der Bahn nach Moskau. In unserem Gepäck befanden sich unter anderem zwei Rollen Toilettenpapier. Freunde haben Tosia ausgelacht: Wir würden doch in einem Luxushotel für Ausländer wohnen, und dort werde es daran mit Sicherheit nicht mangeln. Als wir unser Zimmer bezogen hatten – ein ungewöhnlich großes und prächtig eingerichtetes Zimmer –, ging Tosia gleich neugierig ins Bad. Sie fand dort sehr viel Watte und kein Toilettenpapier. So war es im Sommer 1956.
Wir waren in Moskau und Leningrad jeweils einige Tage und haben alles besichtigt, was man Touristen empfiehlt. Manches hat uns beeindruckt, gewiß, aber wir fühlten uns erleichtert, als wir in Leningrad an Bord eines polnischen Schiffes gehen konnten, das uns nach Gdingen brachte. Ich habe mich damals gefragt, warum mir das Land, dessen Romane zu den größten literarischen Erlebnissen nicht nur meiner frühen Jahre gehören, so fremd geblieben ist. Ich habe keine Antwort gefunden. Es sind seitdem weit über vierzig Jahre vergangen, wir waren in dieser Zeit sehr häufig in London und Paris, in Rom und Stockholm, in New York. Doch in Moskau oder in jener unzweifelhaft wunderbaren Stadt, die jetzt wieder wie einst St. Petersburg heißt, waren wir nie mehr.
Zwei weitere Auslandsreisen, die ich dank der Lockerung der polnischen Grenzen im Jahre 1956 machen konnte, haben ganz andere Erinnerungen hinterlassen. Beide führten in die DDR, vor allem nach Ost-Berlin, wo ich seit 1949 nicht mehr gewesen war. Ich habe Arnold Zweig, Stefan Hermlin und einige andere Schriftsteller in ihren Villen, ihren geräumigen Wohnungen oder in ihren hübschen Sommerhäusern besucht, ich habe mir das Angebot an Bedarfsgütern in den Läden angesehen und für Tosia und unseren Sohn einiges gekauft, was man in Polen nicht bekommen konnte, Kleidungsstücke zumal. Der Lebensstandard war in Ost-Berlin ungleich höher als in Warschau.
Dann fuhr ich – noch gab es ja keine Mauer – nach West-Berlin, die DDR-Genossen sahen es ungern. Alles, was es dort zu kaufen gab, ließ mich das, was ich eben noch in Ost-Berlin bewundert hatte, dürftig und ärmlich erscheinen. Warschau, Ost-Berlin und West-Berlin – das waren 1956 drei Stufen des Lebensstandards. Ein polnischer Kollege, den ich damals zufällig am Kurfürstendamm traf, sagte mir: »Wir Polen haben den Krieg gewonnen, aber die Deutschen, verflucht noch einmal, sie haben den Frieden gewonnen.«
Der neuen Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs verdankte ich auch die Bekanntschaft mit einem westdeutschen Schriftsteller, dem ersten übrigens, der das kommunistische Polen besucht hatte – eine Bekanntschaft, aus der zwar nie eine Freundschaft wurde, aber doch eine schwierige, eine nicht unkomplizierte Beziehung. Sie sollte viele Jahre währen und zeitweise einen beinahe dramatischen Verlauf nehmen.
Es war ein trüber, regnerischer Sonntagmorgen Ende 1956. Ich stand auf einem Bahnsteig des immer noch trostlos-jämmerlichen Warschauer Hauptbahnhofs, eines
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