Mein Leben
angewiesen, meine Arbeiten unabhängig von ihrer Qualität nicht zu veröffentlichen? Die Zensurbehörde? Im Unterschied zu anderen kommunistischen Ländern war die Zensur in Polen keine Geheiminstitution: Die Adresse und die Telefonnummer des »Amts für die Überwachung der Presse, der Schaustellungen und der Veröffentlichungen« konnte man im Warschauer Telefonbuch nachschlagen. Das Amt befand sich – ein schöner Zufall – in der Mäusestraße. Doch hatte es keinen Sinn, bei der Zensur zu protestieren, weil sie bloß ein ausführendes Organ war. Ich mußte, das war klar, dort vorstellig werden, wo man mich als einen ideologischen Fremdling verurteilt und aus der Partei verstoßen hatte, also im Zentralkomitee. Nur hatte das Zentralkomitee seinen Sitz in einem Riesengebäude, das man ohne Passierschein überhaupt nicht betreten durfte. Ich kannte niemanden in diesem Gebäude, der bereit gewesen wäre, einen Passierschein für mich zu beantragen. Also konnte ich nur telefonisch intervenieren. Aber bei welcher Abteilung?
Ich wandte mich zunächst an die Abteilung für Kunst und Literatur. Man erklärte mir, man wisse nichts von einem gegen mich gerichteten Verbot. Ich solle mich doch bei der Abteilung für Publikationen und Verlagswesen erkundigen. Den Genossen in dieser Abteilung war ebenfalls nichts in meiner Sache bekannt. Für mich sei, da ich aus der Partei ausgeschlossen sei, lediglich die Zentrale Kontrollkommission zuständig. Vom Büro dieser Kommission wurde ich belehrt, sie befasse sich ausschließlich mit Fragen der Parteizugehörigkeit und nicht mit beruflicher Tätigkeit.
Ich war angeklagt, konnte aber nicht erfahren, weshalb man mich angeklagt hatte. Ich war verurteilt, wußte aber nicht, wer mich verurteilt hatte. Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß ich je in eine Situation geraten könne, die an jene des Josef K. in Kafkas »Prozess« erinnerte. Und wie K. der Landvermesser, der sich im Schloß melden möchte, aber sich ihm nicht einmal nähern konnte, war es mir nach wie vor verwehrt, das Haus des Zentralkomitees zu betreten. Ich blieb auf das Telefon angewiesen, ich war abhängig von Sekretärinnen, die sich oft unter irgendeinem Vorwand weigerten, mich mit der von mir gesuchten Person zu verbinden.
Schließlich wurde ich von der Zentralen Kontrollkommission an den Leiter jener Abteilung für Kunst und Literatur verwiesen, bei dem ich meine Bemühungen begonnen hatte. Ich rief ihn wieder an. Jetzt bestätigte er: Es stimme, daß ein Publikationsverbot gegen mich erlassen worden sei, doch vom Politbüro. Aber warum? Meine Veröffentlichungen könnten aus ideologischen Gründen nicht geduldet werden. Ob dies lebenslänglich gelten solle? Seine Antwort: »Jawohl.« Warum eigentlich? Da möge ich mich an die Zentrale Kontrollkommission wenden. Mit dem Wort »Politbüro« deutete er mir an, daß meine Interventionen bei Abteilungsleitern des Zentralkomitees zwecklos seien, weil eine höhere Instanz der Partei, die allerhöchste, die Angelegenheit entschieden habe. Immerhin.
Vorerst war ich noch Mitglied des Verbands Polnischer Schriftsteller. Ich fragte den Vorsitzenden, den Romancier und Dramatiker Leon Kruczkowski, dessen Hauptwerke auch ins Deutsche übersetzt wurden, ob ich mit ihm sprechen könne. Seine Antwort klang ostentativ: »Selbstverständlich, und wenn Sie wünschen, noch heute.« Auf keinen Fall könne man es hinnehmen – sagte er mir –, daß man einem Mitglied des Schriftstellerverbandes die Ausübung seines Berufes verbiete. Er werde sofort auf höchster Ebene intervenieren, also beim Politbüro. Eine Woche später teilte er mir resigniert mit, er könne nichts erreichen.
Das Publikationsverbot war noch rund anderthalb Jahre in Kraft. Aber der Schriftstellerverband hat daraus keinerlei Konsequenzen gezogen: Obwohl ich nicht gedruckt werden durfte, blieb ich ein vollberechtigtes Mitglied. Vielleicht sollte damit insgeheim demonstriert werden, daß man nicht bereit war, eine derartige Einmischung der Partei zu billigen. Jedenfalls war ich dem Schriftstellerverband dafür dankbar – und bin es immer noch. Denn dies war ein Lichtblick in einer für mich besonders finsteren Zeit.
Im Sommer 1953 ist trotz des Verbots eine kleine Broschüre von mir erschienen. Es war eine kuriose Sache. Ein Verlag hatte unmittelbar vor dem Publikationsverbot einen populären Vortrag von mir für die Veröffentlichung in großer Auflage vorbereitet und mit dem langen Titel »Fortschrittliche
Weitere Kostenlose Bücher