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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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man damals nirgends auftreiben konnte: Apfelsinen, Bananen und Weintrauben. Brecht hatte die Früchte entweder aus Berlin mitgebracht, oder die Botschaft der DDR hatte sie ihm hinstellen lassen. Er hat keinem von uns, seinen Gästen, etwas von diesem Obst angeboten.
    Aber die begehrten Köstlichkeiten schufen zwischen ihm und seinen Gesprächspartnern eine Distanz, eine Kluft. Hat er, seine Gäste erwartend, diese Obstschale auf dem Tisch des Hotelzimmers absichtlich stehenlassen? Nein, es war wohl eher ein Zufall. Daß ich aber überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, er habe die Bananen und Apfelsinen als nützliche Requisiten verwendet, ist bezeichnend für die Atmosphäre, die Brecht, ob er es wollte oder nicht, ständig verbreitete: Ich hatte den Eindruck, daß er immer Theater spielte.
    Auch sein Habitus trug dazu bei. In Warschau war er in jene plebejisch anmutende, jene auffallend schlichte dunkelgraue Joppe gekleidet, die er sich, wie erzählt wurde, aus bestem englischen Stoff hatte schneidern lassen. Wollte er sich kostümieren, hatte er diesen Mumpitz nötig? Natürlich hatte er ihn nicht nötig. Aber es war ein Spaß, auf den er nicht verzichten mochte.
    Man mag darüber rätseln, warum viele Schriftsteller, Maler oder Komponisten der oft kostspieligen und meist ein wenig lächerlichen Selbstinszenierung so große Bedeutung beimessen. Nur sollte man nicht meinen, dies sei Sache eher der mittelmäßigen oder gescheiterten Künstler: Selbst ein Richard Wagner hatte eine Schwäche für die Kostümierung und für die farbenprächtig-pompöse Stilisierung seiner Umgebung. Mir hat immer gefallen, was Thomas Mann seinen Tonio Kröger sagen läßt: »Wünschten Sie, daß ich in einer zerrissenen Sammetjacke oder einer rotseidenen Weste umherliefe? Man ist als Künstler innerlich immer Abenteurer genug. Äußerlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch … «
    Brecht empfing mich freundlich, er beantwortete alle meine Fragen sehr geduldig. Es ging zunächst um Shakespeares »Conolan«, den er gerade für eine Inszenierung am »Berliner Ensemble« in neuer Übersetzung vorbereitete. Dann erzählte er von einem noch nicht fertigen Stück, und zwar über einen in der DDR berühmten Aktivisten, einen Ofensetzer. Ob das ein Lehrstück sein werde oder vielleicht – hier entschlüpfte mir eine, ich gebe es zu, äußerst dumme Frage – etwas im Stil der »Dreigroschenoper«. Peinlich berührt wandte Brecht sich ab: »So schreibe ich schon lange nicht mehr.« Ich begriff meinen ärgerlichen Fauxpas, hatte mich aber inzwischen wieder gefangen und sagte: »Herr Brecht, ich kann es gut verstehen, daß Sie von der ›Dreigroschenoper‹ nichts hören wollen. Goethe konnte es auch nicht ertragen, daß man ihn ein Leben lang auf seinen ›Werther‹ ansprach.« Auf den scherzhaft gemeinten Vergleich reagierte Brecht ernsthaft und mit Genugtuung: Die Parallele schien ihm durchaus angemessen.
    Später erst habe ich erfahren, daß Brecht, als in den Jahren des Exils die erste Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« herausgegeben wurde, unsicher war, ob er sich »Bert« oder »Bertolt« nennen solle. Ruth Berlau plädierte damals für »Bertolt«, und zwar mit der Begründung: »Willi statt William wäre seinerzeit auch nicht richtig gewesen.« Das Argument hat Brecht sofort überzeugt.
    Als ich das Gespräch auf Kurt Weill lenkte, wurde Brecht einsilbig. Die Frage, ob die Musik zu einem seiner Stücke Weill geschrieben habe oder Eisler oder Dessau, sei nicht von entscheidender Bedeutung. Er selber habe meist eine mehr oder weniger deutliche Vorstellung von der für seine Texte notwendigen Musik, der Komponist müsse ihm dabei nur ein wenig helfen.
    Dann fragte mich Brecht, ob zur Zeit in den Warschauer Theatern etwas Beachtliches zu sehen sei. Ich machte ihn auf eine ausgezeichnete Aufführung aufmerksam, nur sei es leider ein Stück, das bestimmt nicht sein Geschmack sein könne: Bernard Shaws »Frau Warrens Gewerbe«. In der Tat wollte er von Shaw nichts wissen, aber ich versuchte ihn zu überzeugen, er solle dennoch hingehen – und zwar wegen der Darstellerin der Titelrolle, der in Polen berühmten Schauspielerin Irena Eichlerówna.
    Da er nicht recht wußte, wie er den Abend verbringen sollte (zu Kontakten mit deutschen Gästen hatte man damals in Polen wenig Lust), gab er nach – und war, als ich mit ihm am nächsten Tag sprach, von der Eichlerówna hellauf begeistert. Das

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