Mein Leben
tüchtig und ehrgeizig. Jemand verriet mir, er sei Peter Suhrkamps junger Mann und habe vielleicht eine große Zukunft vor sich. Seiner Visitenkarte war zu entnehmen, daß er einen Doktortitel hatte. Ich fragte ihn, Siegfried Unseld, worüber er promoviert wurde. Das ergibt, wenn es sich um einen Geisteswissenschaftler handelt, stets ein willkommenes Gesprächsthema und hat auf die Stimmung einen guten Einfluß, weil der Befragte sich ohne Schwierigkeiten entfalten kann. Peter Suhrkamps junger und kräftiger Mann nannte sein Thema: Hermann Hesse. Es dauerte einen Augenblick, und wir waren mitten in einer temperamentvollen Unterhaltung.
Alles war sehr angenehm, bis ich, vom Teufel geritten, anmerkte, Hesse sei in politischen Dingen doch von einer mitunter schon ärgerlichen, ja, entwaffnenden Naivität. Seine, wie ich meinte, recht fatale Erzählung »Demian« sei zwar 1919 erschienen, als es die NSDAP noch gar nicht gegeben habe, gleichwohl enthalte sie wichtige Motive, die als nazistisch verstanden oder mißverstanden werden konnten. Derartiges wollte Unseld natürlich nicht hören, er protestierte mit wachsender Entschiedenheit.
Zweierlei wußte ich nicht. Erstens: Unseld verdankte Hesse den Kontakt mit Suhrkamp und somit die Tätigkeit in dessen Verlag. Zweitens: Unseld hatte schon damals alle Schriftsteller auf dieser Erde in zwei Gruppen eingeteilt – in die Suhrkamp-Autoren und die übrigen. Jedenfalls ließ er in dem Gespräch mit mir keine Minute verstreichen, ohne Reklame für den Verlag zu machen, der noch nicht sein Verlag war.
Ich glaube, Unseld ißt gern Kirschen. Auch ich liebe Kirschen. Aber bisweilen meint Unseld, fürchte ich, mit mir Kirschen zu essen sei nicht gut. Gelegentlich bin ich der Ansicht, es sei schwer mit ihm auszukommen. Die Verständigung zwischen uns mag die Tatsache beeinträchtigen, daß unsere Interessen zwar nahe beieinander liegen und sich doch unterscheiden: Meine Passion ist die Literatur, die seinige das Buch. Wahrscheinlich ist er der größte Verleger, den das literarische Leben Deutschlands in diesem Jahrhundert hatte und hat. Aber große, erfolgreiche Verleger sind nicht unbedingt sympathische Figuren und können es wohl nicht sein. Den Satz, mit dem ich 1984 meinen Artikel zu Unselds sechzigstem Geburtstag abgeschlossen habe, nehme ich nicht zurück. Er stammt von Kleist: »So einen Kerl… habe ich zeit meines Lebens nicht gesehen.«
Am nächsten Tag war ich im Hessischen Rundfunk. Dort traf ich Joachim Kaiser. Es war kein alltägliches Gespräch in seinem kleinen, kargen Büro. Denn er hat mich sofort verstanden – und ich ihn ebenfalls. Wir kannten uns kaum zehn Minuten und konnten miteinander reden, als kennten wir uns schon zehn Jahre lang, das heißt: mit raschen Kurzformeln, mit solchen, die man in der Öffentlichkeit lieber vermeiden sollte, weil sie meist Mißdeutungen provozieren. Kaiser hatte schon damals einen schlechten Ruf: Er sei, wurde ich von einem Kollegen gewarnt, ungewöhnlich eitel, höchst arrogant und schrecklich besserwisserisch. Ein typischer Kritiker, dachte ich mir, offenbar ein besonders einflußreicher. Als wir im Hessischen Rundfunk plauderten, war er noch keine dreißig Jahre alt, und doch hatte er schon die Erfahrung gemacht, daß der Erfolg den Neid weckt und der Ruhm den Zweifel. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurde Kaiser mit immer mehr Neid und immer mehr Mißgunst bedacht. Aber auch Anerkennung wurde ihm reichlich zuteil: Er ist der am häufigsten plagiierte Musikkritiker Mitteleuropas.
Ende der siebziger Jahre hatte mich in London Alfred Brendel zum Abendessen eingeladen. Zunächst gab es eine Suppe. Noch bevor ich den ersten Schluck zu mir nehmen konnte, sagte der Hausherr entschieden: Der Kaiser ist doch ein schlechter Kritiker. Wie er denn – fragte ich leicht ironisch – das letzte Münchner Konzert Brendels beurteilt habe? Nicht sehr günstig, stellte sich heraus.
Der Abend war lang, wir sprachen viel über Musik, doch einen anderen deutschen Musikkritiker hat mein Gastgeber nicht genannt. Einige Jahre später sah ich Brendel in Frankfurt. Wieder war es ein langer Abend, und wieder hat er, der inzwischen abermals in München konzertiert hatte, im Laufe des Gesprächs nur einen einzigen deutschen Musikkritiker erwähnt, diesmal sehr respektvoll: Joachim Kaiser.
Von Frankfurt führte mich mein Weg nach München. Dort traf ich zwei außerordentliche Männer – einen großen Schriftsteller, der vom literarischen Leben
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