Mein Leben
Artikel vor ihm verbargen. Denn auch geringfügige Kritik empfand er sogleich als persönliche Beleidigung, wenn nicht als ungeheuerliche Kränkung.
Was wünschen sich die Schriftsteller von jenen, die sich in der Öffentlichkeit über ihre Produkte äußern? Als ich 1955 etwas über Arnold Zweig publiziert und es ihm überflüssigerweise auch noch zugeschickt hatte, dankte er mir mit einer Anekdote: »Da gingen Heinrich Mann, Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal am Starnberger See miteinander spazieren, sprachen über literarische Kritik und erhielten von Hofmannsthal auf die Frage, was er von Tageskritik halte, die klassische Antwort: ›G’lobt soll mer wern, g’lobt soll mer wern, g’lobt soll mer wern.‹« Georg Lukács hat dem Thema »Schriftsteller und Kritik« eine eingehende Abhandlung gewidmet; nach subtilen, mitunter höchst verwickelten Gedankengängen überrascht er seine Leser mit einer Entdeckung: »Für den Schriftsteller ist im allgemeinen eine ›gute‹ Kritik jene, die ihn lobt oder seine Nebenbuhler herunterreißt, eine ›schlechte‹ jene, die ihn tadelt oder seine Nebenbuhler fördert.«
Martin Walser, einer der intelligentesten Essayisten der deutschen Gegenwartsliteratur, einer der anregendsten und auch wunderlichsten Intellektuellen weit und breit, er, Deutschlands gescheiteste Plaudertasche, er wußte schon, wovon er sprach, als er kurzerhand erklärte, das Urbild der Schriftsteller sei der ägyptische Hirte Psaphon, der den Vögeln beigebracht hat, ihn zu preisen und zu besingen. Empfindlichkeit, Eitelkeit und Sichwichtignehmen – das alles konnte ich bei Lyrikern wie Erich Fried und Wolf Biermann beobachten, deren Talent nur noch von ihrer Egozentrik übertroffen wird. Und es war unübersehbar bei einem in vielerlei Hinsicht so ungewöhnlichen Autor wie Elias Canetti.
Ich habe ihn 1964 in Frankfurt kennengelernt, wir verabredeten uns für ein längeres Gespräch in London, wo er seit vielen Jahren lebte. Bald kam ich nach London und rief ihn sofort an. Er zeigte sich erfreut und war überaus höflich, wollte aber zunächst wissen, wie lange ich in der Stadt sein werde. Als er hörte, daß ich noch eine ganze Woche zu bleiben plante, war er erst recht erfreut. Er habe sich nämlich, obwohl er im Augenblick in London sei, gerade zurückgezogen, er sei, bedeutete er mir, in Klausur, in einem geheimen Versteck. Daher wäre er mir dankbar, wenn ich die Güte hätte, ihn in fünf Tagen noch einmal anzurufen und zwar zwischen 18 und 19 Uhr, denn nur um diese Zeit hebe er den Hörer ab.
Der Anruf habe aber, bat und belehrte mich Canetti, auf eine ganz bestimmte Weise zu erfolgen: Nachdem ich seine Nummer gewählt hätte, solle ich das Telefon fünfmal klingeln lassen, dann den Hörer auflegen und abermals seine Nummer wählen. Nach dem fünften Klingelzeichen dieser zweiten Serie werde er sich melden. So sei es mit seinen Freunden vereinbart. Andere Anrufe nehme er gar nicht an. Ich bestätigte, daß ich alles seinem Wunsch gemäß tun wolle. Nur wünschte ich zu wissen, wie das zu verstehen sei: Ich hätte doch eben zu einer ganz anderen Tageszeit angerufen und er sei schon nach dem ersten Klingelzeichen zu sprechen gewesen. Was er mir geantwortet hat, weiß ich nicht mehr.
Ich besuchte ihn in seiner eher bescheidenen und nicht gerade geräumigen Wohnung im Londoner Stadtteil Hampstead. Canetti hat mich sofort beeindruckt. Er war so leutselig wie liebenswürdig und durchaus gesprächig. Was mir vor allem auffiel, war sein Charisma. Ich bin zwar hin und wieder Schauspielern, doch nur ganz selten Schriftstellern mit vergleichbarer Ausstrahlung begegnet. Schauspieler indes benötigen eine Rolle, einen Text, um ihr Charisma wirken zu lassen. In der alltäglichen Unterhaltung hingegen verschwindet es rasch. Canetti war ein Mann der Konversation. Kaum hatte er zu sprechen begonnen und plaudernd zu dozieren – und schon wirkte und bezauberte seine Persönlichkeit: Der kleine, wohlbeleibte und dennoch nicht schwerfällige Herr erwies und bewährte sich als anmutiger, als vorzüglicher Causeur. Seine Souveränität war authentisch, doch der Hauch eines dezenten Komödiantentums ließ sich nicht verkennen. Dazu mag beigetragen haben, daß sein Deutsch vom schönsten österreichischen Tonfall geprägt war. Um es etwas zu überspitzen: Unabhängig von dem, was Canetti sagte, war es ein Vergnügen, ihm zuzuhören.
Wir sprachen natürlich über Literatur. Die zeitgenössischen Autoren
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