Mein Leben
bald vorsichtig meinem Tisch näherte, machte einen ganz anderen Eindruck.
Ich glaubte, er sei ein solider Oberstudienrat, der Griechisch und Geschichte lehre, von den Schülern beiderlei Geschlechts geliebt werde und nach Feierabend an einem Buch über Perikles arbeite. Aggressiv war der Schriftsteller, mit dem ich den Abend verbrachte, am allerwenigsten, auch nicht selbstsicher, eher etwas schüchtern, wenn nicht gehemmt, sehr freundlich und verbindlich, auffallend leise und liebenswürdig. Meine Fragen beantwortete Koeppen höflich, vielleicht gar zu höflich. Ich stellte ihm eine nach der anderen – nicht weil ich soviel von ihm wissen wollte, sondern weil ich befürchtete, die Unterhaltung könnte sonst versiegen. Nur ungern wollte ich mir eingestehen, daß sich das Gespräch, an dem mir doch so gelegen war, rasch als enttäuschend erwies.
Später war es kaum anders: Wir trafen uns nicht selten, meist in München oder in Frankfurt, doch an ein aufschlußreiches oder anregendes Gespräch, wenigstens an ein einziges, kann ich mich nicht erinnern. Koeppen hatte in seiner Berliner Zeit, also vor dem Krieg, viele Schriftsteller, Journalisten und Schauspieler gekannt. Manche interessierten mich, ich bat ihn, mir über sie etwas zu erzählen. Er tat es gern, aber während noch die kleinste Buchbesprechung, auch noch der flüchtigste Brief den Schriftsteller Koeppen erkennen ließen, wirkte fast alles, was ich von ihm zu hören bekam, ziemlich blaß und farblos. Ein mündlicher Erzähler war Koeppen nicht. Man konnte ihm auch keine charismatische Wirkung nachrühmen. Sollte Oscar Wilde recht gehabt haben?
Bei Heinrich Mann, den übrigens Koeppen mehr schätzte als ich, was vielleicht eine Generationsfrage war, habe ich die erstaunliche Bemerkung gefunden: »Es gibt kein Genie außerhalb der Geschäftsstunden. Die feierlichsten Größen der Vergangenheit haben mit ihren Freunden gelacht und Unsinn geschwatzt. Man halte seine Stunden ein.« In der Tat, Koeppen formulierte wunderbar, aber nur, wenn er an seinem Schreibtisch saß und die kleine Schreibmaschine vor sich hatte, eben in den Geschäftsstunden.
Als wir uns an jenem ersten Abend voneinander verabschiedeten, gab er mir ein Exemplar seines Romans »Der Tod in Rom«. Das freute mich, doch wünschte ich mir, wie es sich gehört, eine Widmung. Koeppen schien überrascht: Ja, gewiß, aber so schnell gehe das nicht, darüber müsse er erst einmal nachdenken. Mit einem verlegenen Lächeln bat er um Verständnis: Er werde das Buch mitnehmen und es mir morgen mit einer Eintragung wiederbringen. Ich war verwundert, aber natürlich einverstanden. 24 Stunden später überreichte mir Koeppen seinen Roman zum zweiten Mal. Doch wagte ich es nicht, den inzwischen von ihm verfaßten Text in seiner Gegenwart zu lesen. Erst in meinem Hotelzimmer schlug ich, noch im Mantel, neugierig das Buch auf. Die Widmung lautete: »Für Herrn Marcel Ranicki in freundschaftlicher Zueignung.« Unterschrift, Datum. Das war alles.
Um diese Worte zu ersinnen hatte Koeppen das Exemplar seines Romans also für einen Tag nach Hause genommen. Über den Schriftsteller Detlev Spinell sagt Thomas Mann in seiner Novelle »Tristan«, daß dieser wunderliche Kauz, einen Brief schreibend, »jämmerlich langsam von der Stelle« kam. Und dann: »Wer ihn sah, der mußte zu der Anschauung gelangen, daß ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten.« Als ich Koeppens konventionelle Widmungsformel las, die überdies noch fehlerhaft ist – es muß entweder »mit freundschaftlicher Zueignung« heißen oder »in freundschaftlicher Zuneigung« –, wurde mir ganz bewußt, welch sonderbarer und ungewöhnlicher Schriftsteller er war.
Ein Autor, auf den man sich verlassen konnte, war er nie. Niemals hat er Termine eingehalten, und es hat ihm nie etwas ausgemacht, seine Auftraggeber auf sanfte und doch entschiedene Weise vor den Kopf zu stoßen oder ganz einfach im Stich zu lassen. Gesegnet mit einem einzigartigen Talent, war er zugleich mit einer fatalen Willensschwäche geschlagen, mit einer schwer zu bekämpfenden Neigung zur Trägheit und zur Lethargie. Es ist kaum zu glauben: Koeppen, der beinahe sein ganzes Leben lang den Beruf eines freien Schriftstellers ausübte, schrieb selten und sehr ungern, wenn nicht widerwillig. Unzuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl gingen bei ihm Hand in Hand, die Zusammenarbeit mit ihm erforderte viel Geduld und war mitunter
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