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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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Partnerinnen eine außerordentliche Frau war: anmutig und anziehend, verlockend und verführerisch, lieblich und liebreizend, kurz: wunderschön.
    Ich war von ihr so bezaubert, daß ich die anderen kaum wahrnahm. In der Diskussion hat sie mir noch besser gefallen: Sie sprach sehr intelligent und hatte die höchst sympathische Neigung, mit allem, was ich sagte, einverstanden zu sein. Das angebliche Streitgespräch verwandelte sich in einen heimlichen erotischen Dialog: Was ich sagte, war nur für sie bestimmt, und was sie sagte, war, wollte mir scheinen, an mich gerichtet. Gleich nach der Sendung mußte sie zurück ins Hotel. Sie verabschiedete sich bedeutungsvoll mit den Worten: »Sie hören von mir sehr bald.« In der Tat erhielt ich von ihr nach wenigen Tagen einen Brief mit einer Einladung und dann noch einen zweiten. Ich habe ihr eines meiner Bücher geschickt, die beiden Briefe jedoch nicht beantwortet. Es würde zu weit führen, wollte ich den Grund meiner Zurückhaltung erklären. Jedenfalls habe ich sie nie wiedergesehen. Doch ihren Namen sollte ich nachtragen: Lilli Palmer.
    Da sie so schnell verschwunden war, kam ich mit einer anderen Diskussionsteilnehmern ins Gespräch. Es war eine junge Germanistin, ihres Zeichens Literaturredakteurin bei Radio Bremen. Worüber wir uns unterhalten haben, weiß ich nicht mehr, sehr ergiebig war dieser Dialog wohl nicht. Sie habe gewiß – sagte ich ironisch – einen Roman in der Schublade liegen. »Nein« – antwortete sie schnippisch –, »aber ab und zu schreibe ich Gedichte.« Mich ritt der Teufel, denn ich sagte ihr: »Dann schicken Sie mir mal einige.« Doch kaum war mir das Wort entfahren, wollt ich’s im Busen gern bewahren. Zu meinem großen Bedauern hat meine Gesprächspartnerin die Aufforderung ernst genommen. Wenig später erhielt ich aus Bremen vier Gedichte, vermutlich – das wußte ich aus langjähriger Erfahrung – schlechte, miserable. Der Begleitbrief, der knapp an unser Gespräch in Wien erinnerte, war auffallend kurz.
    Ich las die Verse gleich. Ich war entzückt und gerührt. Das hatte es in meiner bisherigen Praxis in der »Frankfurter Allgemeinen« noch nicht gegeben: Eine junge Frau, von der noch nichts publiziert war, hatte mir unzweifelhaft druckbare Gedichte zugeschickt, mehr noch, Gedichte, die bewiesen, daß deutsche Lyrik auch heute schön sein darf und schön sein kann. Ich war entschlossen, die Verse der unbekannten Autorin in der »Frankfurter Allgemeinen« zu veröffentlichen. Ich rief Ulrich Greiner, der damals in der Literatur-Redaktion der »Frankfurter Allgemeinen« arbeitete (er war später einige Jahre lang Feuilletonchef der »Zeit«), und bat ihn, ohne mein Urteil auch nur anzudeuten, diese Manuskripte zu lesen. Er kam rasch zurück, beinahe erregt. Sein Urteil: »Sofort alle drucken.« Ich mußte ihm noch den Namen der Autorin nennen, der auf dem Manuskript nicht zu finden war. Ihren Brief hatte ich irgendwo verlegt. Aber ich fand im Papierkorb ein zerknülltes Kuvert. Der gesuchte Name ließ sich gerade noch entziffern: Ulla Hahn.
    Gelangweilt habe ich mich in der »Frankfurter Allgemeinen« nie, es sei denn (und zwar ziemlich häufig) in den großen Konferenzen, die alle vierzehn Tage stattfanden. Wozu waren sie eigentlich nötig? Von einem Herausgeber wurde ich vertraulich belehrt, es sei aus taktischen Gründen angebracht, den Redakteuren von Zeit zu Zeit Gelegenheit zu geben, sich einmal richtig »auszuquatschen«. Freilich machten die meisten davon keinen Gebrauch, sie zogen es vor, den Mund zu halten. Schlimmer noch: Einem der Herausgeber bereitete es Spaß, die kritischen Einwände von Redakteuren (die selten genug zu hören waren und meist vorsichtig formuliert wurden) mit albernen Scherzen vom Tisch zu wischen. Die anderen Herausgeber duldeten es schweigend.
    Ich nahm an diesen Konferenzen regelmäßig teil, äußerte mich häufig, natürlich kritisch und mitunter ein wenig rebellisch. Angeblich trugen meine Äußerungen zur Belebung der oft eher einschläfernden Konferenzen bei. Sie wurden auch von den Kollegen gern gehört, doch durchaus nicht von den Herausgebern. Bewirkt habe ich so gut wie nichts. Schließlich hatte ich es satt und blieb, versuchsweise, den Konferenzen fern. Ich war sicher, daß man dies auf die Dauer nicht hinnehmen und mich auffordern werde, wieder zu erscheinen. Aber ich hatte mich wieder einmal gründlich geirrt. Nur die Kollegen wünschten meine Rückkehr, die Herausgeber hingegen waren,
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