Mein Mann, der Liebhaber und der Tote im Garten
Aktion, konnten meinen Tränendrüsen nicht aufhören, ganze Sturzbäche hervorzubringen. Ich heulte ohne Unterlass und heulend rief ich schließlich auch unseren Hausarzt Dr. Michaelsen an. Dr. Johann Michaelsen war Ende siebzig und lebte theoretisch längst als Pensionär in der Provence, wo er ein Haus besaß, doch praktisch konnte er seinen Beruf nicht an den Nagel hängen. Sehr zum Leidwesen seiner Frau verbrachte er die Sommer in Hamburg und betreute in dieser Zeit sowohl meine Mutter als auch mich und eine Vielzahl anderer langjähriger Privatpatienten.
Johann Michaelsen kannte mich, seitdem ich meinen ersten Atemzug getan hatte, war er doch bei meiner Geburt zugegen gewesen. Später hatte er meinen Mumps ebenso erfolgreich wie meinen Keuchhusten behandelt. Michaelsen war es auch, der mir mit knapp siebzehn Jahren riet, mir die Pille verschreiben zu lassen, und der meiner Mutter seit nunmehr Jahrzehnten anempfahl, ihre Pumps im Interesse krampfadernfreier Beine aufzugeben. Vergeblich, wie wir wissen.
Als Dr. Michaelsen an diesem Morgen den Hörer abnahm, bedurfte es eines Momentes, bis er wach war. Dann jedoch hörte er meinem Geschluchze konzentriert, wenn auch verwundert zu. Ich war mir sicher, dass er nicht genau verstand, worum es ging, sondern nur, dass ich mit den Nerven am Ende, irgendetwas mit Martin war und ich einen Arzt brauchte. Ich solle mir keine Sorgen machen, in zirka fünfzehn Minuten sei er da, erklärte er mir schließlich und legte auf.
»Und wie ist es passiert?«, wandte ich mich, das Gespräch wieder aufnehmend, an Hedwig. Ich schluchzte immer noch.
»Er hat mich erschreckt. Er kam von hinten auf mich zu.«
»Hedwig, auch ich erschrecke dich manchmal. Trotzdem hab ich kein Messer im Bauch.« Hedwig fummelte in ihrer Schürzentasche herum, kam zu mir herüber und reichte mir eines ihrer baumwollenen Taschentücher, das von einer blütenweißen, gehäkelten Spitze eingefasst war.
»Hier, putz dir die Nase und wisch dir das Gesicht ab.« Ihre Augen funkelten mich durch die dicke rosafarbene Brille an. »Und dann brauchst du gar nicht so gemein zu sein und mir zu unterstellen, Ich hätte ihn mit Absicht verletzt. Das hab ich nämlich nicht.«
»Du hast Martin nicht mal eben so verletzt, Hedwig. Du hast ihn ziemlich übel zugerichtet. Nimm das bitte zur Kenntnis«, herrschte ich sie an, während ich mir die Augen wischte und die Nase putzte.
Als ich Hedwig anfuhr, schloss sie einen Lidschlag lang die Augen und senkte betreten den Kopf.
»Das hab ich nicht gewollt.« Ihrer noch eine halbe Minute zuvor so selbstbewussten Stimme fehlte die Kraft. Sie klang winzig, so als sei die ganze Frau innerhalb von Sekunden geschrumpft.
»Ist das alles, was dir dazu einfällt? Ich meine, du hast gerade versucht, meinen Mann umzubringen!« Ich hatte aufgehört zu weinen.
»Hab ich nicht. Nicht so, wie du es jetzt sagst, jedenfalls. Und auch nicht gerade eben. Es war ein Unfall. Glaub mir.« Hinter den Brillengläsern füllten sich nun Hedwigs Augen mit Tränen. »Ich hab es nicht gewollt.« Der letzte Satz kam leise, begleitet von einem Winseln der Hündin, die irritiert von einer zur anderen schaute und mal wieder nicht begriff, was los war.
Hedwig murmelte: »Eule, ist ja gut«, holte aus der Schürzentasche ein zweites, blütenweißes Taschentuch mit einem gleichfalls gehäkelten Spitzensaum, nahm die Brille ab, rieb sich mit der freien Hand die Augen und setzte zu einer Erklärung an: »Eule hat mich heute früh geweckt. Sie bellte unter meinem Fenster und ich bin aufgestanden, um sie wieder nach Hause zu schicken. Aber dann dachte ich, wenn ich schon mal wach bin, kann ich ihr genauso gut ein paar Leckerlis geben. Und deshalb bin ich hier rübergekommen. Und als ich mich bückte, um die Tüte aus dem Unterschrank zu nehmen, hat mir dein Martin von hinten einen deftigen Schlag auf den Hintern gegeben. Ich meine ...«, Hedwig stutzte kurz, »... ich wusste natürlich nicht, dass es Martin war ... Morgens um sechs ist der doch noch nie in meiner Küche gewesen. Ich hab mich so erschrocken. Ich dachte, es wäre ein Einbrecher und nun hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Ja, und dann hab ich mich irgendwie aufgerichtet, umgedreht und zugestochen. Es ging alles so rasend schnell. Ich hab ihn getroffen. Einfach so, meine Güte. Und weil die Pfanne noch auf der Arbeitsplatte stand, hab ich mit der auch gleich zugehauen. Da ging er aber schon in die Knie. Ich weiß nicht, Claire. Ich wollte
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