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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind
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können. Und obwohl Peter sicher über einen Meter neunzig groß war, hatte seine Größe nichts Einschüchterndes, sie wirkte auf mich eher beschützend.

    Ich war bald so etwas wie Peters rechte Hand. Jedenfalls fühlte ich mich so. Der alte Diakon war immer sehr nett zu mir gewesen, hatte mir ab und an über den Kopf gestreichelt, wenn ich abgewaschen und das Geschirr weggestellt hatte. Aber er hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er der Diakon war, und wahrte immer eine gewisse Distanz. Peter dagegen behandelte mich nicht wie ein Kind, sondern wie eine Erwachsene, eine ebenbürtige Freundin.

    In den Teestunden hielt ich mich bei Diskussionen über gesellschaftspolitische Themen zunächst zurück. Still saß ich am Tisch, umklammerte mit beiden Händen meinen Becher Tee und sagte nichts, ich wollte ja nicht auffallen. Ich war froh, dabei sein zu dürfen. Denn ich zahlte nie einen Pfennig. Egal ob Theater, Museum oder Ausstellung – die Kirche lud mich immer ein.

    Doch Peter ließ keinen Versuch aus, mich einzubeziehen. Der Gruppe vor Augen zu führen, dass ich da war. Wichtig war. Dazugehörte.

    »Und was meinst du dazu, Xenia?«, fragte Peter mich wieder einmal. Wir diskutierten gerade über das Wettrüsten. Ich war knallrot geworden und hatte, weil ich so verdutzt gewesen war, nur gestammelt. Doch als die anderen anfingen zu kichern, wies Peter sie zurecht.

    Danach war ich nie wieder um eine Antwort verlegen. In der Schule kriegte ich ja auch den Mund auf, allein schon, weil für mich gute Noten in gewisser Weise überlebenswichtig waren. Ich studierte also in der Schulbibliothek die Zeitungen und machte Peter Vorschläge, über welche Themen wir diskutieren konnten. Erst schüchtern, doch nachdem Peter meine ersten Vorschläge begeistert aufgegriffen hatte, gänzlich eigenständig.
    Fortan hatte ich den anderen Jugendlichen gegenüber einen entscheidenden Vorteil. Ich wusste, worüber Peter mit ihnen diskutieren würde, und war bestens vorbereitet, während die anderen Jugendlichen sich aus dem Stegreif eine Meinung bilden mussten. Nun meldete ich mich oft zu Wort, plapperte munter nach, was ich in Zeitungskommentaren gelesen hatte. Nicht etwa, weil ich das Bedürfnis hatte, meine Meinung zu sagen, ich wollte Peter beeindrucken. Und es gelang mir auch.

    »Du bist sehr weit für dein Alter«, sagte er nach einer Teestunde zu mir, während ich die Tassen und Teller in den Geschirrspüler räumte, der auf Peters Drängen hin angeschafft worden war. »Du steckst die anderen alle in die Tasche.« Er legte mir die Hand auf die Schulter.

    Ich sagte kein Wort. Aber ich war stolz. Peters Hand fühlte sich an wie ein Ritterschlag. Ein erwachsener Mann nahm mich ernst, hielt mich für schlauer als die anderen in der Jugendgruppe. Fortan setzte ich noch mehr daran, Peter zu gefallen. Ich nahm ihm Teile der Organisation ab, sammelte Geld für geplante Veranstaltungen ein, führte Teilnehmerlisten, kaufte ein. Zum Dank ließ mich Peter bei jeder Gelegenheit wissen, dass er mich für etwas Besonders hielt.

    »Xenia«, sagte er einmal, als wir allein waren, und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Xenia ist so ein schöner Name.«

    Als es auf Weihnachten zuging, stand wie jedes Jahr die Besetzung des Krippenspiels zur Debatte. Alle redeten durcheinander, schlugen sich, wie sie es vorher heimlich abgesprochen hatten, gegenseitig für die besten Rollen vor. Peter, der dieses Spiel natürlich durchschaute, schüttelte den Kopf. Er wollte die Vorschläge der Gruppe gar nicht hören. »Du spielst in diesem Jahr die Maria, Xenia«, sagte Peter in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und zeigte mit dem Finger auf mich. Die anderen verstummten.

    »Aber ich, äh, ich …«

    »Du machst das«, sagte Peter entschieden. »Wir fangen gleich mit den Proben an.«

    Ich war verblüfft, fügte mich aber. Ich wollte keinen Streit.

    »Du bist doch die Einzige, die das wirklich kann«, sagte Peter später zu mir, als wir allein waren. Wieder strich er mir über die Wange, ganz sanft und zärtlich, wie er es schon ein paar Mal getan hatte.

    »Ich bin mir da nicht so sicher«, gab ich zurück.

    »Ich glaube an dich«, antwortete Peter. Er legte mir den Arm um die Schulter und zog mich zu sich heran. Ein warmes Gefühl durchflutete mich.

    Ich war unglaublich stolz und wollte Peter auf keinen Fall enttäuschen. Also paukte ich den Text vor dem Spiegel und mimte die Maria bei der Aufführung so, als hätte ich

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