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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind
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hinunter.

    »Danke, das war wirklich nett von Ihnen«, sagte ich zu dem Schlaks, von dem ich nun wusste, dass er Schellenberger hieß. Er hatte den Arm um die Nötzelfrau gelegt.

    »Keine Ursache«, antwortete Schellenberger und lächelte.
    Plötzlich fand ich ihn sympathisch, kaum vorstellbar, dass er mich mit seinem dicklichen Kollegen gejagt, den Müll durchwühlt und meine Privatfotos veröffentlicht hatte.

    »Wenn noch was ist, zögern Sie nicht zu klingeln«, ergänzte Kristina Nötzelmann.

    Ich nickte, obwohl ich wusste, dass ich von diesem Angebot nie Gebrauch machen würde, und schloss die Tür.

    Ich ging nicht zurück ins Bett, sondern packte meine Sachen, warf wahllos Jeans, T-Shirts, Pullis, Toilettenartikel und Kosmetika in meinen Koffer.

    Ich wollte weg. Weg aus Berlin. Weg, bevor Tobias wiederkommen und mich womöglich umbringen würde. Weg aus dieser Wohnung, in der mich alles an Tobias erinnerte. An unser Leben. An seine Tat. Weg von meinem neuen Nachbarn, diesem Journalisten, der, auch wenn er mich vor dem Monteur beschützt hatte, sicher weiter auf eine Gelegenheit wartete, mich auszuhorchen.

    Im Haus war noch alles still, als ich im Morgengrauen meinen Koffer die Treppen hinunterschleppte. Die Kellertür stand nun sperrangelweit offen, gab den Blick frei auf den finsteren Gang, der ins Untergeschoss führte. Wie eine Drohung. Ich fröstelte.

    Auf den Straßen waren nur wenige Autos unterwegs, sodass ich schon bald die Stadtgrenze Berlins passierte. Ziellos fuhr ich über Brandenburgs Landstraßen, durch dichte Alleen, trostlose Dörfer, vorbei an grauen Fassaden, ungemähten Wiesen, Stoppelfeldern, auf denen Krähen hockten. Eine Landschaft voller Wehmut.

    Das Autofahren beruhigte meine Nerven. Das war schon immer so gewesen. Kuppeln, schalten, auf den Verkehr achten, bei mäßiger Geschwindigkeit wirkte das fast wie Meditation. Das Fahren versetzte mich in einen tranceähnlichen Zustand, spülte versunkene Erinnerungen vom Grund meines Unterbewusstseins an die Oberfläche.

    Ich dachte an Peter, den ersten Mann in meinem Leben. Diakon unserer Kirchengemeinde.

    Als ich ein kleines Kind war, kamen die Kirchenleute oft zu uns nach Hause, um meiner Mutter zu helfen. Sie kauften ein, erledigten Behördengänge, wuschen ab, wenn Frau Wilhelms keine Zeit hatte. Sie ließen nichts unversucht, meine depressive Mutter ins Leben zurückzuholen.

    Es waren einige sehr merkwürdige Leute darunter. Ein Mann mittleren Alters, der immer einen viel zu weiten, grellbunten Wollpulli trug, den ihm seine Frau gestrickt hatte. Der Pullover war ein kleines Kunstwerk mit aufwendigem Muster. In den Kragen war ein Stern gestrickt, sodass der Kopf des Mannes wie bei einem Harlekin von Zacken umrahmt war. Es war der Pullover eines Kindes, der an einem Erwachsenen einfach nur lächerlich wirkte.

    Aber diese Kirchenleute waren lieb, das musste man ihnen lassen. Nie vergaßen sie, mir eine Kleinigkeit mitzubringen. Süßigkeiten, eine Kinderbibel oder ein anderes Buch. Doch so rührend sie sich auch um uns bemühten, es war aussichtslos. Meine Mutter zog sich immer mehr zurück, bis sie eines Tages die Tür nicht mehr öffnete, wenn der Mann mit dem Kinderpulli klingelte. In gewisser Weise war es ein Witz, dass sich ausgerechnet Leute der Kirche um uns kümmerten. Denn meine Mutter lehnte die Kirche ab, sie glaubte nicht an Gott, regte sich sogar über das Glockengeläut auf, das sie sonntags aus dem Bett holte.

    »Das ist ruhestörender Lärm«, fluchte meine Mutter und beschimpfte die Kirche wahlweise als Verein, Jesus-Fanklub oder Sekte. Einmal, als sie sah, wie ich in der Bibel las, die der Mann mit dem Kinderpulli mir geschenkt hatte, sagte sie: »Wenn es einen Gott gibt, dann ist er ein Sadist, der sich am Leid der Menschen ergötzt.«

    Ich hörte nicht auf meine Mutter, sie war eine kranke Frau. Für mich wurde die Kirche zu meiner Familie, ließ mich vergessen, was für eine Behelfskindheit ich führte. Ich ging regelmäßig zum Spielkreis und später zur Jugendgruppe. Meine Mutter fragte nie, was ich tat, war froh, wenn ich mich zu Hause nicht blicken ließ. Dass wir in der Gruppe christliche Lieder sangen und viel von Jesus die Rede war, störte mich nicht. Hier fragte niemand, woher ich kam. Es schien keine Rolle zu spielen, dass meine Mutter eine depressive Sozialhilfeempfängerin war, die ein Schattendasein in ihrem Bett führte. Während ich die Verachtung meiner Klassenkameraden, die während meiner

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