Mein Mutiger Engel
als Gouvernante. Jenny gegenüber hatte sie zwar behauptet, sie wolle Französisch- und Italienischunterricht geben, doch mittlerweile schien ihr dieser Plan hoffnungslos blauäugig. So blieb ihr nur die bescheidene Aussicht, eine Stellung als Haushälterin oder Gesellschafterin zu finden.
Auf jeden Fall würde sie niemals genug verdienen, um ihre Schulden abzuzahlen. Sie konnte höchstens ihr Gewissen beschwichtigen, indem sie die kleinen Beträge, die sie Jahr für Jahr zurücklegte, unter ihrem eigenen Namen ihren Gläubigern zusandte, ohne ihren Aufenthaltsort zu enthüllen. An die Zinsen, die noch zur Gesamtsumme dazukamen, mochte sie gar nicht denken. Ich werde bis zu meinem Tod verschuldet sein, dachte sie verzweifelt. In diesem Augenblick konnte sie ihren Groll auf Philip, der irgendwo in Frankreich seinem Vergnügen nachging, kaum unterdrücken.
Als unten die Uhr drei schlug, begann eine hinterlistige innere Stimme ihr verlockende Worte ins Ohr zu flüstern. Gib dich ihm hin. Du liebst ihn ja, du begehrst ihn. Er weiß selbst, worauf er sich einlässt, und ist bereit, deine Schulden zu bezahlen. Du würdest nie wieder Geldsorgen haben.
Katherine rang mit sich, bis schließlich ihr Gewissen siegte. Nein! Wenn sie so handelte, könnte sie nie wieder in den Spiegel sehen. Nach dieser Erkenntnis schlief sie endlich ein.
Am darauf folgenden Morgen frühstückten sie auf ihren Zimmern. Anschließend ging Nick mit John nach unten, um die Rechnung zu begleichen. Die Überschwänglichkeit des Wirts weckte in ihm das unangenehme Gefühl, er sei unter falschen Vorspiegelungen zurückgekehrt, was ja auch zutraf. Benutzte er etwa nicht Katherine als Vorwand, um sich endlich auf seine Pflichten zu besinnen, obwohl er sich nach seiner Verbannung geschworen hatte, für immer fortzubleiben?
Doch selbst dieser unerfreuliche Gedanke machte ihm weit weniger zu schaffen als die Erinnerung an den vergangenen Abend, an den Zorn und Schmerz in Katherines Miene, als sie einander auf der Treppe gegenüberstanden. Wie kam es, dass er sie so gründlich missverstanden hatte? Dabei war er nicht unerfahren im Umgang mit Frauen, nur bei Katherine schien er einen Fehler nach dem anderen zu begehen.
Gestern Abend hatte sie sich bereitwillig an ihn geschmiegt. Voller unschuldiger Leidenschaft war sie auf seine Berührung eingegangen, bis sein Blut in Wallung geriet. Dennoch wollte sie offensichtlich nichts von ihm wissen, trotz ihrer verzweifelten Lage.
Kopfschüttelnd ging er in den Hof hinaus, um John beim Anspannen zu helfen, doch die körperliche Betätigung lenkte ihn leider nicht von seinen Gedanken ab. Was wohl sein Vater von Katherine halten würde? Ein einziges abfälliges Wort, und ich werde auf der Stelle gehen, beschloss er grimmig. Katherine wollte ihre Verbindung zwar unbedingt lösen, aber seine Ehre und seine Empfindungen ließen das nicht zu. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass er sie in dem Glauben geheiratet hatte, er werde binnen weniger Tage sterben. Nun galt seine erste Sorge ihr, noch vor seiner Familie und allen anderen Pflichten.
"So, fertig." John warf Nick einen unangenehm wissenden Blick zu. "Wohin soll die Fahrt gehen? Sir", fügte er nachträglich hinzu. Offensichtlich stand sein Urteil über den Mann, den Jenny so unbefangen als den "gnädigen Herrn" bezeichnete, noch nicht fest.
Als Nick begann, ihm den Weg zu erklären, wurden Johns Augen erst rund, dann verengten sie sich. Er stellte eine Frage, die Nick knapp bejahte. Nach kurzem Schweigen bemerkte John lakonisch: "Dazu wird Miss Katherine einiges zu sagen haben."
"Schon möglich." Insgeheim rechnete Nick nach ihrem Streit vom gestrigen Abend nicht damit, dass sie überhaupt noch mit ihm sprach. In diesem Augenblick erschien sie selbst, gefolgt von Jenny.
Anscheinend hatte Katherine an diesem Morgen eigens ihr bestes Kleid angezogen. Ihr zugleich eleganter und dezenter Hut saß untadelig auf ihrem straff frisierten Haar. Kurz: die perfekte Schwiegertochter. Nick verspürte einen Stich im Herzen, als er sah, wie viel Mühe sie sich gab.
Katherine begrüßte Nick nur mit einer flüchtigen Kopfbewegung, bevor sie in die Kutsche stieg. Sie brachte es nicht über sich, ihm in die Augen zu sehen, und sie fand auch keine Worte. Es kam ihr vor, als habe sich eine Glasscheibe zwischen ihnen herabgesenkt, sodass sie sich nur noch mit Gesten verständigen konnten.
Als er nach Jenny in die Kutsche stieg, riss Katherine bestürzt die Augen auf. Damit
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