Mein Mutiger Engel
weiß ich nicht Bescheid, Euer Gnaden", erwiderte sie kühl. "Es handelte sich von Anfang an um eine Zweckehe. Zweifellos möchten Sie gerne Näheres über meine Herkunft erfahren. Ich heiße Katherine Cunningham. Mein verstorbener Vater war Philip Cunningham of Ware, aus Hertfordshire."
"Soso. Wie ich sehe, hat mein Sohn eine erstaunlich kluge Wahl getroffen. Selbstverständlich kannst du gerne so lange hierbleiben, wie du magst, Katherine." Die geplante Annullierung schien den alten Herrn ebenso wenig zu überraschen wie die Heirat an sich. Allmählich begriff Katherine, von wem Nicholas seine beeindruckende Selbstbeherrschung erlernt hatte.
Ungnädig musterte der Duke seinen älteren Sohn. "Soso, Nicholas, nach langer Abwesenheit – sechs Jahre, nicht wahr? – hast du also beschlossen, wieder heimzukehren."
"Du hattest mich des Hauses verwiesen, Vater." In Anbetracht der Umstände wirkte Nick bewundernswert ruhig. Dass er des Hauses verwiesen worden war, hörte Katherine allerdings zum ersten Mal. Ihr Zorn darüber, dass er ihr seine Herkunft verheimlicht hatte, schwand, und stattdessen wallte wieder jene unerwünschte, unbequeme Liebe in ihr auf. Es musste hart sein, unvorstellbar hart, im eigenen Heim so kühl empfangen zu werden.
"Richtig. Höchst erstaunlich, dass du mir ausnahmsweise einmal gehorcht hast." Der Duke nahm Katherine gegenüber Platz und warf einen Blick auf seine Söhne. "Stehe nicht herum, Robert, setz dich endlich!"
Robert folgte der Aufforderung, und Nick tat es ihm gleich.
"Lass mich nachdenken … aus welchem Anlass habe ich dich damals fortgeschickt?", überlegte der Duke laut. "Ach ja, wegen dieser äußerst unpassenden jungen Dame – sie war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte."
Katherine wandte sich verblüfft zu Nick um. Als sie sah, wie er mit hochmütiger Miene dem Blick seines Vaters standhielt, musste sie plötzlich an zwei Hirsche denken, die sie einmal im Richmond Park beobachtet hatte. Einen alten Hirsch mit schwerem Geweih und weißem Haar ums Maul und einen jüngeren Hirsch, der noch kein so eindrucksvolles Gehörn besaß, dafür aber die Kraft und Arroganz der Jugend. In Kampfstellung standen sie da und beäugten einander, um die Schwächen des anderen zu erkunden.
"Junge Liebe zählt bei dir wohl nicht viel", bemerkte Nick schließlich, woraufhin der ältere Mann wie zur Bestätigung ein kurzes, verächtliches Lachen ausstieß.
"Nein, ganz recht. Und jugendlicher Stolz ebenso wenig. Ich erwartete, dass du nach ein, zwei Monaten zurückkehren würdest."
Als Nick in diesem Augenblick die Beine übereinander schlug und sich bequemer hinsetzte, stutzte sein Vater. "Komm her", befahl er in scharfem Ton.
"Wie bitte?"
"Du sollst herkommen."
Katherine erstarrte, denn auch sie sah, was Nicks Bewegung freigelegt hatte: die wunde Stelle an seinem Hals. Um ihn zu warnen, deutete sie auf ihren eigenen Hals, doch er blickte stirnrunzelnd auf seinen Vater.
Langsam stand er auf und trat vor den Duke. Dieser erhob sich, um das Krawattentuch seines Sohnes nach unten zu schieben. "Was, bitte schön, ist das?"
"Du pflegtest zu sagen, dass man mich eines Tages hängen würde", erwiderte Nick mit verhaltenem Zorn. "Du hattest recht, wie immer."
"Wie kam es dazu? Wie bist du dem Tod entronnen?", rief der Duke. Er nahm wieder Platz, während Nicholas sich Zeit ließ, bis er zu seinem Stuhl zurückkehrte.
"Ich wurde als Wegelagerer zum Tod durch den Strang verurteilt. Katherine hat mich gerettet und sich dabei selbst in Lebensgefahr begeben."
"In diesem Fall stehen wir tief in deiner Schuld, meine Liebe", meinte der alte Mann an Katherine gewandt. "Deine Rettung kam genau im richtigen Augenblick – spät genug, um Nicholas eine harte Lektion zu erteilen, und doch nicht so spät, dass sie tödlich endete. Ich brenne darauf, die ganze Geschichte zu hören. Da jedoch Heron bald das Mittagessen ankündigen wird, wollt ihr euch jetzt sicherlich auf eure Zimmer zurückziehen." Als er die Hand nach der Klingelschnur ausstreckte, fiel Katherine auf, wie sehr seine eleganten Finger Nicks Fingern ähnelten.
"Heron wird beurteilen können, welche Gemächer sich unter den gegebenen Umständen am besten für Lady Seaton eignen", fügte er hinzu. "Wenn du mich nun bitte entschuldigen würdest, meine Liebe."
Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, entstand ein betretenes Schweigen. Katherine hätte Nick am liebsten umarmt, doch er wirkte so ruhig und beherrscht,
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