Mein Mutiger Engel
dass er vermutlich keine Zuwendung wünschte. Jedenfalls wusste sie nun, wie ihr Titel lautete: Marchioness of Seaton. Ein Albtraum.
Endlich, als das Schweigen schon so lange andauerte, dass sie hätte schreien können, sagte Robert: "Gehängt?" Sein Bruder nickte. "Als Wegelagerer?"
Ein ironisches Lächeln umspielte Nicks Lippen. "Und zwar als kein Geringerer als der berüchtigte Black Jack Standon."
Robert stieß einen Pfiff aus. "Ein Justizirrtum, oder?"
"Selbstverständlich. Ich wurde von Black Jack und seinem Liebchen geschickt in eine Falle gelockt."
"Du siehst überhaupt nicht wie ein Wegelagerer aus", protestierte Robert. "Ich meine, deine Kleidung ist zwar nicht gerade …"
"Die Sachen gehören meinem Kutscher", warf Katherine ein. "Und Nick sieht Mr. Standon tatsächlich sehr ähnlich."
"Woher weißt du das?", fragte Robert, wobei er sich neugierig zu Katherine umdrehte.
"Meine Gattin hat ihn aufgesucht und ihn dazu überredet, sich dem Friedensrichter zu erkennen zu geben, den er überfallen hatte."
"Wieso konnte Katherine den Irrtum nicht auf anderem Wege beweisen? Als deine Ehefrau …"
"Ich habe Nicholas …", begann Katherine, doch Nick unterbrach sie warnend.
"Katherine!"
Sie ließ sich nicht beirren. Zwar liebte sie ihn dafür, dass er sie beschützen wollte, aber sie wollte ihrer neuen Familie die Wahrheit nicht verschweigen. "Ich habe Nicholas im Gefängnis geheiratet, weil ich hoch verschuldet war – und immer noch bin."
Robert stieß erneut einen Pfiff aus. "Nun, darüber brauchst du dir nun nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Nick schwimmt im Geld. Wilkinson, unser Geschäftsbeauftragter, hat sein Einkommen in seiner Abwesenheit gut angelegt. Herrgott, Nick, willst du mir nicht endlich erzählen, was du all die Jahre getrieben hast?"
Katherine räusperte sich. "Bevor wir das Thema wechseln, möchte ich zwei Dinge festhalten: Ich werde diese Ehe auflösen lassen und meine Schulden selbst zurückzahlen."
"Das besprechen wir später", hob Nick an. Da trat Heron ins Zimmer.
"Mylord, ich habe mir erlaubt, Ihre alten Gemächer für Sie herrichten zu lassen und angemessene Kleidung aus Lord Roberts Garderobe für Sie bereitzulegen. Ihre Ladyschaft wird eine Suite bewohnen, die auf den See hinausblickt. Ich habe warmes Wasser hinaufbringen lassen, falls Ihre Ladyschaft sich vor dem Mittagessen, das in einer halben Stunde serviert wird, ein wenig frisch machen möchte."
Katherine erhob sich lächelnd. "Ich danke Ihnen, Heron. Würden Sie mir bitte den Weg zeigen?" Mit einem deutlich kühleren Lächeln winkte sie ab, als Nick Anstalten machte, sie zu begleiten. "Lass nur. Ihr werdet euch sicher viel zu erzählen haben, du und Lord Robert."
In ihrem Schlafzimmer sah Katherine hilflos auf den See inmitten der Parklandschaft hinaus.
"Eine Marchioness! Wer hätte das gedacht!", rief Jenny fröhlich, die gerade einen Stapel Kleider vom Koffer zu einer Hochkommode trug.
"Gewöhne dich gar nicht erst daran, Jenny." Katherine ging zum Waschtisch hinüber und warf geistesabwesend einen Blick in den Spiegel. "Bis zur Annullierung unserer Ehe muss ich wohl oder übel hierbleiben, aber danach muss ich meinen Lebensunterhalt selbst verdienen."
"Aber, Miss Katherine, er ist ein Lord, der Erbe eines Dukes! Machen Sie sich keine Sorgen wegen Ihrer Schulden, so viel verdient er in einer Woche. Außerdem lieb… ich meine, Sie haben ihn doch gern."
"Ach, Unsinn." Katherine zupfte unruhig an ihrem Kleid herum. Bald musste sie sich wieder nach unten begeben. "Eben weil Lord Seaton der Sohn eines Dukes ist, wird er eine junge Dame aus einer alten Adelsfamilie zur Braut wählen müssen. Eine reiche Erbin, die über große Ländereien und Beziehungen bei Hofe verfügt. Natürlich würde ich mich in jedem Fall von ihm trennen, selbst wenn ich diesen Ansprüchen genügte", fügte sie hastig hinzu. Könnte der Erbe eines Herzogs aus Liebe heiraten? Hör auf damit! Dich liebt er ja ohnehin nicht.
Irgendwo im Untergeschoss rief ein Gong zum Mittagessen.
"Ich muss gehen. Hat man sich schon um dich gekümmert, Jenny? Dir die Gesindestube gezeigt und eine Schlafkammer zugeteilt? Wie geht es John?"
"Ich habe ein sehr hübsches Zimmer, ganz für mich allein, und John auch, soviel ich weiß. Nun gehen Sie schon, Miss Katherine, lassen Sie den Duke nicht warten."
In der Eingangshalle stand Heron bereit, um Katherine in das getäfelte Speisezimmer zu führen, seiner Angabe nach das kleinste Speisezimmer im
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