Mein mutiges Herz
Auskunft gegeben.
„Was hat Beale gesagt?“, fragte sie.
„Er sagte, er wisse nur von einer Tilly Coote, Stephens Kindermädchen, die aber nicht mehr im Dienst des Marquess stand, als er seine Stellung als Kammerdiener des jungen Merrick antrat.“
„Hat er sich an sonst noch etwas erinnert?“
„Nur, dass er das Gefühl hatte, Merrick konnte die Frau nicht besonders leiden. Der Viscount hatte ohnehin nicht viel Gutes über seine Kindheit zu sagen.“
Lindsey erhob sich. „Ich muss sie ausfindig machen und mit ihr reden.“
Ein Gefühl des Triumphes stieg in Thor auf. Er hatte geahnt, dass Lindsey diesen Wunsch äußern würde, und Vorsorge getroffen. „Ich habe sie bereits gefunden. Ich bringe dich zu ihr.“
Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Nenne mir nur ihre Adresse.“
„Nein, Lindsey, es ist zu gefährlich. Wenn du sie aufsuchen willst, begleite ich dich.“
„Verflixt, fahr zur Hölle!“
„Dort befinde ich mich bereits seit dem Tag, an dem ich dir diese schrecklichen Vorwürfe gemacht habe. Komm, ich bringe dich zu ihr.“
Er streckte ihr in banger Hoffnung versöhnlich die Hand entgegen. Lange sah sie ihn zaudernd an, bevor sie seine Hand nahm und sich zur Tür führen ließ.
„Ich habe mir die Karosse meines Bruders geliehen, aber bald werde ich einen eigenen Wagen haben.“
Sie warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu und entzog ihm ihre Hand, als sie den Flur betraten. Ihr Vater stand immer noch in der Halle wie ein Zerberus, die Hände im Rücken verschränkt.
„Ich wollte dich gerade holen“, empfing er sie schroff. „Es ist höchste Zeit, dass dieser Mann unser Haus verlässt.“
„Ja, Vater, er geht, aber ich muss ihn begleiten. Thor hat möglicherweise einen wichtigen Hinweis gefunden, um Rudys Unschuld endgültig zu beweisen.“
„Thor? Du nennst diesen Fremden beim Vornamen?“
Aber Lindsey hörte nicht mehr zu, sondern eilte aus dem Haus zur wartenden Kutsche.
„Komm sofort zurück, Lindsey!“, herrschte Lord Renhurst sie im Befehlston an und folgte ihr bis zu den Steinstufen.
„Mach dir keine Sorgen, Vater“, rief sie aus dem offenen Wagenfenster, „ich bin bald wieder zurück.“
Thor nahm ihr gegenüber Platz; der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und das Zweiergespann trabte los. Nachdem der Fahrer sich in den Verkehr eingefädelt hatte, musterte Lindsey ihr Gegenüber scharf. „Du hast meinem Vater gesagt, du willst mich heiraten. Wie konntest du so etwas tun?“
„Weil es die Wahrheit ist. Du gehörst zu mir, und tief in deinem Herzen weißt du das, Lindsey.“
Sie hob das Kinn. „Ich gehöre keinem Mann und dir schon gar nicht!“
Thor schwieg. Lindsey war bei ihm, und das war ein gutes Zeichen. Sie war entschlossen, mit dieser Tilly Coote zu reden, und er wollte ihr dabei behilflich sein. Lindsey war fest von der Unschuld ihres Bruders überzeugt, und Thor hatte gelernt, ihrer Intuition zu vertrauen.
Vielleicht würden sie bald den Beweis erbringen, dass Rudy Graham kein Mörder war.
Und danach konnte er sein Ziel anstreben, sie als seine Braut zu erobern.
Tilly Coote wohnte in einem schäbigen Holzhaus am Rande der Stadt. Durch die verwitterten Bretter der kleinen Veranda wuchs Unkraut, die Holzstufen waren abgetreten und an einigen Stellen gebrochen. In einem verwaschenen Baumwollkleid unter einer mottenzerfressenen Wolljacke erschien Tilly unter der Tür, eine ältere Frau, das blonde Haar von grauen Strähnen durchzogen und mit gelb gewordenen Zähnen. Früher mochte sie hübsch gewesen sein, damals als Stephens Kindermädchen, aber nun war sie alt und verwelkt.
„Guten Tag, Mrs. Coote“, grüßte Lindsey freundlich.
„Tag. Was wollen Sie?“
„Mein Name ist Lindsey Graham. Mein Begleiter ist Thor Draugr. Wir kommen, um mit Ihnen über Ihre Jahre als Kinderfrau im Hause des Marquess of Wexford zu sprechen. Hätten Sie ein paar Minuten für uns Zeit?“
„Miss Coote, wenn ich bitten darf. Und Zeit habe ich mehr als genug.“ Sie ließ die Besucher eintreten. Das winzige Haus war vollgestopft mit billigem Kitsch und Nippes, die sie im Laufe ihres Lebens gesammelt hatte; überall lagen vergilbte Zeitungen herum.
Miss Coote bot ihnen Tee an, den sie höflich ablehnten, als sie in dem überladenen Wohnzimmer Platz nahmen.
„Ich stand dreizehn Jahre im Dienst Seiner Lordschaft“, berichtete Miss Coote stolz. „Er war ein guter Dienstherr und immer freundlich zu mir. Als Stevie dreizehn wurde, fand der Marquess, dass er
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