Mein mutiges Herz
werden.
Zu dieser Jahreszeit brach die Dämmerung bereits am späten Nachmittag herein. Der trübe Schein der Gaslaterne an der Straßenecke versickerte im Nebel.
Stephen stand im Schatten einer Mauer vor dem Verlagsge bäude von Heart to Heart ; in den Fenstern brannte noch Licht, das bald gelöscht werden würde. Der Arbeitstag war zu Ende, vereinzelte Angestellte verließen bereits das Haus. Lindseys Kutsche stand wartend am Straßenrand, um sie von Piccadilly zum Haus ihrer Eltern in der Mount Street zu bringen.
Lindsey. Der Name verursachte ihm Übelkeit, und er schluckte gegen den bitteren Geschmack in seinem Mund an. Als ihr Vater ihn gefragt hatte, ob er an einer Eheschließung mit seiner Tochter interessiert sei, war Stephen nicht abgeneigt gewesen. Er kannte das Mädchen nicht besonders gut, aber als Nachbarn waren seine flüchtigen Begegnungen mit ihr im Lauf der Jahre angenehm verlaufen. Sein eigener Vater war hochbetagt und würde bald das Zeitliche segnen, und dann würde der Titel des Marquess of Wexford auf Stephen übergehen. Er brauchte einen Erben, und Lindsey, die Tochter eines angesehenen Barons, wäre als Mutter seines Sohnes geeignet.
Er wusste, dass sie eine eigenwillige, unabhängige Person war, was ihm eigentlich gelegen kam. Dadurch wäre er nicht gezwungen, ihr viel Aufmerksamkeit zu schenken; es genügte, einen Sohn mit ihr zu zeugen. Das würde er zustande bringen, obgleich ihm der Gedanke, sie zu beschlafen, nicht sehr angenehm war. Es sei denn, sie würde sich widerspenstiger zeigen, als er vermutete. Er hatte es gern, wenn Frauen sich gegen ihn zur Wehr setzten, und genoss es, sie sich gefügig zu machen.
Erneut warf er einen Blick zur Fassade hoch. Nun brannte nur noch in einem Fenster Licht. Lindsey war wohl die Einzige im Büro und würde gleichfalls bald gehen. Stephen hatte die Absicht, ihr zu folgen, wie schon seit einigen Abenden, seit er wusste, dass sein Kammerdiener ein elender Verräter war.
Seit er herausgefunden hatte, dass Lindsey Graham versuchte, ihn des Mordes zu beschuldigen.
Stephen dachte an all die Dinge, die er seit jenem Tag aufgespürt hatte. Er hatte herausgefunden, dass die Frau, die er beabsichtigte zu heiraten, nicht mehr unbefleckt war. Sie war eine sündige kleine Hure, die es mit dem dunkelhaarigen Barbaren trieb, der für ihn im Stall gearbeitet hatte.
Der bittere Geschmack in seinem Mund verstärkte sich. Der Drang, seine Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken, war schier übermächtig. Sie hatte ihn belogen, hatte alle belogen. Sie war eine dreckige Hure, und er wünschte ihr den Tod. Und er würde der Mann zu sein, der ihr den Tod brachte.
Aber wenn er es tat, wenn er ihr das Leben nahm auf die Weise, die ihm Vergnügen bereitete, die seine Gelüste befriedigte, wie nichts sonst auf der Welt, würde Rudy Graham auf freien Fuß gesetzt werden. Da er zum Zeitpunkt dieses Mordes immer noch im Gefängnis sitzen würde, musste selbst die Polizei erkennen, dass ein anderer die Huren in Covent Garden umgebracht hatte.
Stephen aber wünschte, dass Rudy schuldig gesprochen wurde. Damit wäre eine alte Schuld beglichen, seine Demütigung wäre ein für alle Mal gesühnt. Zunächst hatte er sich vorgenommen, mit dem Morden aufzuhören, sobald Rudy tot war. Niemand würde je die Wahrheit erfahren, und er würde nie in den Verdacht geraten, die Verbrechen begangen zu haben.
Ursprünglich hatte er nicht die Absicht gehabt, zu töten. Alles hatte mit dieser Penny Barker angefangen, der kleinen Schlampe, die ihm ein Kind anhängen wollte. Eigentlich wollte er sie nicht töten, doch dann hatte die dumme Gans ihm von dem Kind erzählt, hatte in ihrer Dreistigkeit erwartet, er würde sie heiraten, und ihm gedroht, zu seinem Vater zu gehen, wenn er sich weigerte. In diesem Moment war der Gaul mit ihm durchgegangen, er hatte sie in jäh aufflammendem Zorn erdrosselt und an Ort und Stelle im Wald unter einer alten Eibe verscharrt.
Er hatte nicht vorgehabt, damit weiterzumachen, aber nach Penny war seine Mordlust erwacht. Das Bedürfnis, die Welt von diesen widerlichen Kreaturen zu befreien, die harmlose Männer zu sündigem Treiben verlockten, war einfach zu stark.
Stephen beobachtete, wie die letzten Angestellten das Haus verließen, und dachte an die kleine Hure, die er vielleicht geheiratet hätte, malte sich das berauschende Gefühl aus, wenn er ihr das Tuch um den Hals schlang und zudrückte. Er musste noch warten, aber nicht mehr lange.
Sobald
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