Mein Name ist Afra (German Edition)
feindliche, die heidnische Seite entschieden, und sie wollte mit Arpad und seiner blutdürstigen Horde ins Ungarnland ziehen! Jetzt muß sie die Folgen ihres schamlosen und unchristlichen Handelns ertragen, so wie ein jeder von uns für seine Taten vor dem Dorfgericht und dem Grafen einstehen muß, und auf Hurerei und Verrat gegenüber dem eigenen Volk steht die Todesstrafe!“
Bei seinen letzten Worten schaute Chuonrad nicht mehr die anderen Männer an, sondern selbstsicher und fordernd geradeaus in mein Gesicht, und verzweifelt suchte ich in den Augen meines Mannes und meines Vaters festen Widerspruch gegen die Rede des Haslachbauern und eine winzige Hoffnung für meine Freundin. Doch in den Blicken von Leonhard und Wezilo lag nur unendliches Mitleid und tiefe Sorge für mich, und ich erkannte, daß sie Chuonrad und Liutbirc Recht gaben und Richlint nicht länger schützen wollten.
Da drehte ich mich um und rannte wie von Geistern getrieben aus der Meierstube in die schwarze Nacht hinaus, barfuß und mit wehenden Röcken den Bach entlang zur Hütte am Hollerbusch, und schwer atmend stemmte ich die sperrige Tür auf und schlüpfte in die kleine Stube mit ihrem dämmrigen Licht.
Richlint lag in der Ecke auf ihrem Strohlager und schien fest zu schlafen, und die kleine Gisel klapperte an der Feuerstelle mit dem eisernen Topf herum und summte dabei leise vor sich hin. Justina saß mit aufgestützten Armen auf einem dreibeinigen Stallschemel, den weißen Hund lang ausgestreckt neben sich, und ließ das Haupt mit den schwarzgrauen Locken müde nach unten hängen, doch als sie das Knarren der zufallenden Tür und meinen schweren Atem hörte, hob sie sofort den Kopf und erforschte mit wachen Augen mein Gesicht.
Meine verzweifelte Miene, mein wie Espenlaub bebender Körper und die hilflos zu Fäusten geballten Finger meiner Hände erzählten Justina alles, was geschehen war, und schwarze Tränen verschleierten ihren samtdunklen Blick, als sie erkannte, wie ernst es um Richlint´s Leben stand. Schwerfällig und mit gebeugtem Rücken stand sie auf und blieb für einen Augenblick so stehen, mit gesenktem Kopf und herabhängenden Armen, und angesichts der Hoffnungslosigkeit und Trauer dieser starken und allwissenden Frau fühlte ich mich so hilflos und verloren wie ein treibendes Blatt allein in den tosenden Wellen der Lecha.
Doch wie von einer unsichtbaren Hand berührt und gestärkt straffte Justina plötzlich die Schultern und richtete sich auf, schickte mit einer barschen Handbewegung die kleine Magd nach draußen und verschloß hinter Gisel sorgfältig die schwere Tür. Dann ging sie mit schnellen Schritten zu ihrem Ledersack voller Kräuter und Heilmittel und wühlte darin herum, bis sie ein sorgsam verschnürtes Leinensäckchen und eine braune Tonschale gefunden hatte, und erleichtert schlossen sich ihre langen, schmalen Finger um das Säckchen und hielten es fest.
„Geh´ zu Richlint, Afra,“ sagte Justina mit leiser und sanfter Stimme, „sie hat ein wunderschönes Mädchen geboren, ein Kind mit gesunden Gliedern und dichten, pechschwarzen Haaren, ein Kind mit den Erinnerungen und den Seelen von zwei Völkern, wie sie verschiedener nicht sein könnten, und sie wird dir ihre neugeborene Tochter zeigen und das Kleine deiner Obhut anvertrauen!“
Richlint war wach, als ich zur Bettstatt hinüber ging, erschöpft nach der langen Geburt lag sie auf dem mit Stroh gefüllten Kissen und drückte den schlafenden Säugling an ihre Brust. Ihr Gesicht war bleich und ernst, die Augen umrandet von tiefen Schatten, und die sonst so vollen Lippen waren schmal und weiß wie frischgefallener Schnee. Sie versuchte zu lächeln und sich aufzurichten, als sie mich sah, und ich nahm das Kind aus ihren Armen entgegen und beugte den Kopf tief über das kleine, warme Wesen, um den nach der Wahrheit suchenden Augen meiner Freundin zu entgehen.
„Sie ist das schönste Neugeborene, das ich jemals gesehen habe, Afra, sie ist einfach vollkommen!“ flüsterte Richlint mit belegter Stimme, „schau´ dir ihre zarten Finger an, und diese kleinen Füße mit den winzigen Zehen! Es war schmerzhaft und sehr schwer, dieses kleine Mädchen zur Welt zu bringen, und die Sorge um Arpad hat mir soviel von meiner Kraft geraubt, daß ich während der Geburt um mein eigenes Leben fürchtete. Aber nun ist meine Tochter geboren, stark und gesund, und während du sie so gut behütest wie deine eigenen Kinder, gehe ich zur Lecha hinunter und versuche ihren
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