Mein Name ist Afra (German Edition)
ich ihn das letzte Mal sah! Über vergangene, rauhe Zeiten haben wir gesprochen, und darüber, wie gut es uns heute geht! Felder und Wiesen oben auf der Dornau stehen ja prächtig, und sogar eine eigene Hofkirche mit Grablege für die Familie haben sie dort. Aber der edle Herr wollte meine Ansicht über Bescheidenheit nicht teilen, sondern meinte, daß es für hochgestellte Häuser sogar notwendig sei, sich abzuheben von einfachen Bauern, die man doch zu leiten hatte! Auch für die eigenen Söhne sei es von Nutzen, die höfische Art kennenzulernen, damit sie später im Dienst des Herzogs nicht wie Bauerntrampel behandelt würden. Ich muß sagen, der edle Severin hat mich überzeugt, und er kaufte einiges an Gewürzen für die Kuchl seiner Gattin und mehrere Krüge des guten Weins aus dem südlichen Frankenreich, um sie angesehenen Gästen vorzusetzen.“
Hildeger nahm zum Abschluß des Mahls ein paar Haselnüsse und eine saftige Birne aus der hölzernen Schale, die eine junge Magd gerade hereingebracht hatte, und trank aus seinem Tonbecher einen Schluck des sauren, einheimischen Weins dazu, den man stark gewürzt und gesüßt hatte, damit er trinkbar wurde. Ruhig wartete der Händler die Wirkung seiner Worte ab, denn daß sich Wicpert jetzt Gedanken machte und seinem Nachbarn Severin von Dornau nicht nachstehen wollte in herrschaftlicher Lebensweise, war an seinem nachdenklichem Gesicht deutlich abzulesen.
„Siehst du, Vater, wenn die Dornauer sogar Gewürze kaufen....“ platzte Liutbirc vorlaut dazwischen, wurde jedoch durch eine Handbewegung ihrer Mutter, die wieder Hoffnung geschöpft hatte, zum Schweigen gebracht. „Nun,“ begann nach reiflicher Überlegung der Hausherr, „du hast uns doch erzählt, Hildeger, daß der Graf sich mit der Absicht trägt, bald nach Pitengouua zu kommen. Da wäre es ganz recht, ihm süßen Wein statt des sauren Zeugs da vorzusetzen, denn er ist ja die feine Art gewohnt und soll sich hier wohl fühlen. Morgen früh, bevor du weiter reitest, werde ich mir deine Waren in Ruhe anschauen, denn jetzt ist es zu spät und dunkel dazu und außerdem höchste Zeit für die Nachtruhe, ich bin müde nach diesem langen Tag und dem vielen fetten Essen!“
Afra
Der Winter in Pitengouua war besonders hart und lang in diesem Jahr, schon vor Weihnacht hatten wir soviel Schnee liegen, daß wir fast nicht mehr aus unseren Häusern und Hütten herausschauten. Mit großen hölzernen Schaufeln und Spaten räumten die Männer schmale Wege zwischen den Wohnstätten, Ställen und Vorratshäusern, damit das Vieh versorgt und Lebensmittel, Brennholz und Wasser geholt werden konnte, und der freigeschaufelte Weg zu unserer Kirche, die ja auf einer kleinen Anhöhe oberhalb der Pitenach lag, diente uns Kindern als Spielplatz im Winter. Dick eingepackt in warme Kittel aus grobem Wollstoff, die Beine umwickelt mit Wollbändern, von den Schnüren der Ledersohle festgehalten, kletterten wir den kleinen Hügel hinauf, an einem groben Strick unsere Rutscher hinter uns herziehend. Das waren alte Daubenbretter von einem großen Bierfaß, an der Unterseite mit Birkenpech bestrichen, so daß sie schön glatt war und die Holzbretter wie der Wind mit uns über den festen Schnee sausten. Haimeran hatte uns Kindern die alten Bretter hergerichtet, und seitdem vor einigen Jahren eines der Kleinen beim Rutschen in die unterhalb des Hügels fließende eiskalte Pitenach gefallen und danach an hohem Fieber gestorben war, fühlte sich der Alte für uns verantwortlich und ging immer mit, wenn wir zur Kirche zogen. Dann stapfte er unten am Bach auf und ab, brummig wegen der Kälte, einen verfilzten, alten Wollumhang um sich geschlagen, Eiskristalle im langen Bart, und schaute uns zu, wie wir den kleinen Berg hinaufkletterten und unter Lärmen und Lachen mit glänzenden Augen blitzschnell herunter sausten. Die dunklen, weisen Augen unter den schweren Lidern mit den rundum tief eingekerbten Falten spiegelten unsere Freude und den großen Spaß, den wir hatten, denn Haimeran freute sich mit uns, er liebte Kinder und hatte immer Zeit für sie.
Der Winter war eine ruhige Zeit für die Einwohner von Pitengouua, mit kurzen Tagen, angefüllt mit der notwendigsten Arbeit, und langen, gemütlichen Nächten in der warmen, rauchigen Stube, wo alle eng beieinander saßen und Nüsse und schrumpelige Äpfel aßen. Die Frauen verarbeiteten fleißig mit der tönernen Spinnwirtel die Wolle dieses Jahres oder nähten mit tief über den Stoff
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