Mein Name ist Afra (German Edition)
uns da draußen natürlich nicht treffen, und auch die Vorratshäuser, voll mit Heu und Getreide, boten keinen geeigneten Platz; so daß uns für die heimlichen Spiele nur die kleine Wiese mit den Obstbäumen hinterm Meierhof blieb, wo zu dieser Jahreszeit kein Erwachsener etwas zu tun hatte.
An einen Nachmittag auf dieser Obstwiese, als uns Liutbirc beim Spiel überraschte, erinnere ich mich besonders gut, denn von da an sprach Richlint immer wieder davon, wegzulaufen aus Pitengouua und ihre Freiheit in südlichen Ländern zu suchen, wo sie kein Mensch kannte und niemand wußte, daß sie eine Unfreie war. Wir spielten gerade, wie Afra von den Schergen des römischen Statthalters aus Augusburc zur Verbrennung auf die Lechainsel gebracht wird, Richlint als Afra, ich als römischer Herr der Stadt, und der vierjährige Berti, ein Sohn von Hilde und Adalbert, stapfte mit einem Hanfstrick in der Faust als böser Scherge hinter uns her, eifrig bemüht um einen möglichst grimmigen Ausdruck in seinem kleinen Kindergesicht. Im Eifer des Spiels hatte Richlint ihre Überkleidung abgeworfen, und sie stand nur mit ihrem dünnen Leinenunterkleid vor uns, so sehr ins Spiel vertieft, daß ihr die Kälte nichts auszumachen schien. „Herr Jesus Christus, hilf deiner unwürdigen Dienerin Afra,“ rief sie, die Hände zum Himmel hoch ringend, während Berti und ich die magere Richlint mit den groben Stricken fesselten und dann hinter uns her zerrten. „Schwöre deinem Gott ab und folge uns in den Tempel zu den römischen Göttern und Göttinnen, nimm dein früheres Leben als Hure in Augusburc wieder auf, dann wird dir nichts geschehen und wir lassen dich frei!“ Mit dunkler, verstellter Stimme und hoch aufgerichtet, die Hand drohend zur Faust geballt, war ich ganz der böse Statthalter aus der Römerzeit. „Niemals, niemals,“ schluchzte Richlint als Afra, „nie werde ich Jesus Christus verraten!“ „Dann werden wir dich auf der Insel im Fluß verbrennen, und du wirst schon sehen, daß dir dein Gott nicht helfen wird!“ „Ja, verbrennen, ja, das machen wir,“ schrie der kleine Berti und hüpfte aufgeregt um uns herum. Ich packte Richlint an den Schultern und schüttelte sie so heftig, daß sich einer ihrer langen, goldbraunen Zöpfe löste und ihr dichtes Haar wie ein Schleier über das blasse, schmale Gesicht fiel. „Niemals, niemals,“ wimmerte sie und ließ sich auf den Boden fallen, kniete im Dreck, das Antlitz mit den großen, jetzt fast schwarz wirkenden Augen zum Himmel gerichtet, die Hände betend gefaltet.
Als ich mich bückte, um Richlint an dem Strick um ihren Leib wieder hoch zu zerren, bemerkte ich die dicke Liutbirc, die anscheinend schon eine ganze Weile still unter einem Baum gestanden und uns zugeschaut hatte. Sie trug eine Haube aus Filz auf dem Kopf, die ihre blonden Haare fast ganz verdeckte, und ihren dunkelroten Umhang aus schönem, dickem Wollstoff hielt eine kostbare, goldene Scheibenfibel zusammen, die mit bunten Edelsteinen besetzt war. Mit schmalen, zusammengekniffenen Augen beobachtete sie uns wortlos, schmutzig und erhitzt, wie wir von unserem Spiel waren, und als ich langsam und drohend auf sie zuging, um ihr zu sagen, daß sie uns auf keinen Fall verraten dürfe, schürzte Liutbirc nur verächtlich ihre dünnen Lippen, drehte sich um und lief zum Meierhof.
Rautgund war entsetzt, als sie von unseren Spielen erfuhr. Die boshafte Liutbirc hatte erzählt, daß Richlint und ich halbnackt und dreckig Heilige darstellten, in gottloser Weise eine böse, gemeine Sprache führten und dazu auch noch kleine, unschuldige Kinder an diesen Spielen teilhaben ließen. Es nützte uns gar nichts, daß wir beteuerten, in gutem Glauben gehandelt zu haben und gar nicht genau wußten, was eine Hure eigentlich war; wir bekamen beide schmerzhafte Schläge mit der Weidenrute und durften wochenlang nicht mehr miteinander spielen, was für uns die größte Strafe bedeutete. An diesen vielen Abenden ohne Richlint, an denen ich brav neben Walburc an der Herdstatt sitzen und fettige Schafwolle spinnen mußte, dachte ich über uns alle nach, und ich zweifelte an Gott, der ein schönes, kluges Mädchen wie Richlint als Leibeigene aufwachsen ließ und so ein gemeines Balg wie Liutbirc zur Tochter des Burgvogts machte. Wenn ich vorher schon Liutbirc nicht richtig leiden konnte, mit ihrer überheblichen Art, wie sie sich zwischen Walburc und mich stellte, so begann ich in diesen Tagen damit, sie zu hassen.
In dieser langen
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