Mein Name ist Afra (German Edition)
Zeit ohne Richlint fiel mir erst auf, wie sehr mir meine Großmutter Ella fehlte, die, seit ich mich erinnern konnte, zur Familie im Meierhof gehörte. Sie war ein paar Tage vor Allerheiligen gestorben, nachdem sie schon länger krank gewesen war, und obwohl wir bei ihrem hohen Alter von fast fünfzig Jahren alle darauf vorbereitet waren, kam ihr Tod doch schnell und überraschend. Bis auf ihre letzten Tage hatte Ella auf dem Hof mitgearbeitet, trotz der Schmerzen in ihrem Bauch und der Schwachheit, die sie in ihren Gliedern spürte, und erst, als sie sich niederlegte und nicht mehr aufstand, sprach sie mit Walburc und mir über ihre Krankheit und den Tod, den sie erwartete, und sie redete so lange und soviel mit uns wie sonst nie in den letzten Jahren. Sie erzählte Geschichten aus ihrer Kindheit, die sie als dritte Tochter von fünf Kindern eines Einödbauern am Amberse verbracht hatte, von der zu kurzen Zeit mit ihrem Mann Rumpold, die den zwei zwischen den vielen Kampfzügen und seinem frühen Tod zusammen verblieb, von den schönen Jahren, als unser Vater Wezilo ein kleines Kind war, und von den zwei weiteren Kindern, die sie Rumpold geboren hatte und schon als Säuglinge wieder begraben mußte. „Darauf freue ich mich,“ sagte sie leise zu Walburc und mir, als wir an ihrer Bettstatt saßen, „meine Kinder wieder zu sehen, und meinen Mann Rumpold, und meine Eltern und Geschwister. Denn im Paradies, droben bei Gott und allen Heiligen, werden wir alle wieder beisammen sein, und es wird uns gut gehen, besser, als es uns jemals auf Erden ging! Zu essen werden wir reichlich haben, Milch und Fleisch, Brot und süßen Honig, und keine Ängste vor Krankheit oder den Überfällen wilder, blutdürstiger Heiden werden uns mehr plagen. Im ewigen Feuer, das für die sündigen Seelen brennt, werde ich wohl nicht zulange bleiben müssen, denn an so schwere Sünden in meinem einfachen Leben kann ich mich nicht erinnern, und Jesus Christus ist gnädig mit uns Menschen.“
Nach dieser langen Rede quälte Ella ein schlimmer Hustenanfall, so daß sie nach Luft zum Atmen rang und ihr federleichter, knochiger Körper bebte und zitterte und lange nicht mehr zur Ruhe kam. Walburc sprang auf und holte noch ein mit Stroh dick vollgestopftes Kissen, das wir unserer Großmutter in den Rücken schoben, damit sie aufrecht sitzen und besser durchatmen konnte. Ich streichelte immer wieder über die blassen, kühlen Hände, die mich früher so oft getröstet und geheilt hatten, und sah Ella vor mir, mit ihren grauen Haaren und dem lieben, alten Gesicht, wie sie in ihrem schlichten Hauskittel am Herd im Meierhof stand und fröhlich summend aus Getreidebrei braune, knusprige Küchlein backte, die wir mit dem süßen, schwarzen Hollermus, das auch gut gegen Leibwürmer war, zum Abendmahl aßen. Das war meine Leibspeise, das konnte es gar nicht oft genug geben, und ich schämte mich innerlich sehr, daß ich, während meine Großmutter im Sterben lag, ständig daran dachte, daß ich wohl nie mehr so gute Küchlein bekommen würde.
Während ich in meine Gedanken versunken still neben der Kranken auf der Bettstatt saß, war Wezilo eingetreten, sein grauer Kittel über und über mit frischem Blut beschmiert, denn es war Schlachtzeit in Pitengouua. Die Schweine, die sich in diesem schönen Herbst in den Wäldern fett und rund gefressen hatten, wurden getötet und ihr Fleisch sofort verarbeitet, außer ein paar Muttersauen und dem Eber, die man zur Weiterzucht brauchte und über den langen Winter durchfüttern mußte. Das ganze Dorf war auf den Beinen, und sogar das Gesinde der Burg war zum Helfen heruntergekommen, denn es gab alle Hände voll zu tun. Die Tiere wurden abgestochen und ihr noch warmes Blut in großen Schüsseln aufgefangen, und daraus machte meine Mutter dann eine dicke Blutsuppe, die es immer zum Abschluß des Arbeitstages gab und auf die sich alle Helfer freuten, denn sie war mit guten Gewürzen abgeschmeckt und galt als kräftigend und sehr gesund. Die Borsten der toten Schweine wurden über einem Feuer aus Buchenholz abgesengt, und dann zerhieb der kräftige Lutold mit einem Beil die Tiere in der Mitte, und die anderen zerteilten und verarbeiteten das Fleisch weiter, pökelten es in Salz und räucherten die mächtigen Schinken.
Mitten in dieser arbeitsreichen Zeit hatte sich meine Großmutter niedergelegt, und ich war froh darüber, mit Walburc für sie sorgen und bei ihr bleiben zu dürfen, denn von dem fürchterlichen Schreien
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