Mein Name ist Afra (German Edition)
gebeugten Köpfen im schlechten Licht des Herdfeuers an Kleidungsstücken; und die Männer besserten Gerätschaften oder das Zaumzeug ihrer Pferde aus und redeten sich daneben die Köpfe heiß über die Kriegszüge des früheren Herzogs Arnulf und seinen Bruder Berthold, der nach Arnulf 938 vom bei uns unbeliebten König Otto zum bairischen Herzog eingesetzt worden war.
Richlint verbrachte die meisten der langen Winternächte im Meierhof, mit Walburc und mir saß sie auf unserer gemeinsamen Bettstatt und hörte vor der Nachtruhe gespannt den Erzählungen meiner Mutter über das Leben Christi und die Legenden der Heiligen zu. Rautgund, meine Mutter, kannte sich damit sehr gut aus, denn sie war eine besonders fromme Frau und ging täglich in die Kirche von Pitengouua, wo der alte Dorfpriester am frühen Morgen mit einer eisernen Glocke läutend zur Messe rief. Neben dem steinernen Altar mit den kostbaren Reliquien eines römischen Märtyrers stehend predigte er jeden Tag für unsere kleine Gemeinde, und zur bildlichen Veranschauung christlichen Lebens und christlicher Werke dienten ihm besonders die Heiligen, deren Leben und Sterben er in wunderbar farbigen Bildern ausmalte, zum Verständnis für alle nicht in der lateinischen Kirchensprache, sondern in unserem heimischen Dialekt.
So gehörten sie zu unserem täglichen Leben, die Wunder der Heiligen und auch ihr Tod, und jede von uns drei hatte ihren besonderen Liebling, dessen Geschichte sie von Rautgund an diesen heimeligen Winterabenden immer wieder hören wollte. Walburc war beieindruckt von ihrer Namenspatronin, der Hl. Waltpurgis, deren sterbliche Überreste im Kloster zu Eichstat lagen, wo sie auch nach ihrem Tod Wunder tat, denn der Stein, der ihren Körper umschloß, sonderte eine durchsichtige Flüssigkeit ab, die viele Kranke, besonders kleine Kinder, auf Fürbitte der Heiligen gesund machte. „Wenn ich erwachsen und verheiratet bin, werde ich eine Wallfahrt nach Eichstat machen, zum Grab der Heiligen! Dann nehme ich ein Fläschchen des Walpurgisöls mit, von ihrem Grab, und meine Kinder werden immer gesund sein.“ Walburc sprach mit tiefer Überzeugung, und unsere Mutter bekräftigte sie in ihrem Glauben, denn Rautgund hielt viel auf das Wirken der Heiligen auch nach deren Tod in dieser Welt, und an ihrem Gürtel trug sie neben Schmuck, Schere und Kamm auch ein kleines Gefäß, das Wachsreste der Kerzen vom Grab der Hl. Afra in Augusburc enthielt, wohin sie noch vor meiner Geburt eine Wallfahrt gemacht hatte.
Mein Lieblingsheiliger war Sankt Mang, eigentlich hieß er Magnoald, der in Fozen, nicht weiter als einen halben Tagesritt von Pitengouua entfernt, im Süden bei den Bergen begraben liegt. Seine Unerschrockenheit angesichts wilder Tiere wie Bären und Drachen, und wie er ihnen nur mit dem Kreuz in der Hand und festem Glauben gegenüber trat und sie dadurch für alle Zeiten verjagte, fesselte mich, und immer wieder wollte ich mit Richlint in der Rolle der bösen Kreaturen und mit mir als tapferem Mönch die Heldentaten dieses Heiligen nachspielen. Walburc war für solche Spiele nicht zu gebrauchen, ihr mangelte es entschieden an der nötigen Phantasie, und sie fand es anmaßend und fast ein wenig gottlos, wenn Kinder in die Rollen von heiligen Menschen schlüpften. Da Richlint und ich wohl zu Recht vermuteten, daß meine Mutter und andere Erwachsene genauso darüber dachten, fanden unsere Heiligenspiele heimlich statt, in einem leeren Vorratsschupfen oder auf einer Wiese hinter den Häusern, und nur manchmal durfte der kleine Eticho oder eines der anderen jüngeren Dorfkinder dabei zuschauen oder eine kleine Rolle übernehmen.
Richlint´s Lieblingsheilige war Afra, meine Namenspatronin aus Augusburc, und wenn in diesen dunklen Nächten Rautgund mit ihrer sanften Stimme vom sündigen Leben der jungen Afrikanerin, ihrer Bekehrung durch den Bischof Narzissus, der selber ein Heiliger war, und ihrem grausamen Feuertod auf einer Insel der Lecha erzählte, dann hörten wir beide besonders aufmerksam zu, denn die Afrageschichte ließ sich wunderbar darstellen und war eines unserer liebsten Rollenspiele. Erst im vergangenen Herbst hatten wir eine kleine Halbinsel an der Pitenach entdeckt, ein gutes Stück weit weg vom Dorf, die sich sehr gut als Verbrennungsort für die Heilige eignete und auf der wir schon rund um einen großen Weidenbaum Hölzer und Reisig gesammelt hatten, um das Spiel möglichst echt zu gestalten. Jetzt, mitten im Winter, konnten wir
Weitere Kostenlose Bücher