Mein Name ist Afra (German Edition)
Tiere mit ins Wohnhaus oder in die Bettstatt zu nehmen, oder ihnen gar einen eigenen Namen zu geben, wie man es mit einem guten, treuen Hund machte. Justina aber war anders, sie kannte jede Katze auf dem Hof so genau wie sich selbst, und alle ihre Tiere ließen sich von ihr mit eigenen Namen rufen; sogar die Ziegen folgten dem Laut der Herrin und sprangen, mit den eisernen Glöckchen um den Hals laut bimmelnd, sogleich herbei, wenn nach ihnen verlangt wurde. Die geschmeidigen Haustiere von Justina aber waren mit fremden Menschen sehr scheu und verschwanden lautlos und unsichtbar, sobald Fremde den Hof betraten.
Das Badehaus, das die Mädchen jetzt mit der Frau betraten, bestand im Innern aus drei einzelnen Räumen, die früher von den römischen Besitzern für ausgiebige Badezeremonien mit heißem und kaltem Wasser genützt wurden, aber Justina badete gewöhnlich nur im Warmbad und bewahrte in den zwei anderen Zimmern ihre fertigen Heilmittel und Zutaten auf. Der Eingangsbereich mit dem ehemaligen Umkleidezimmer war übervoll mit Kräutern, Pflanzen und ganzen Ästen von Bäumen, die zum Trocknen an den Wänden und von der Decke hingen, und auf den steinernen Bänken ringsum standen irdene Töpfe und Schüsseln, gewebte Säcke aus Leinen und Hanf, geflochtene Weidenkörbe und hölzerne Eimer, Fässer und Kannen, die mit Weidenruten oder Eisenbändern zusammengehalten wurden und innen mit Pech behandelt waren, damit sie dicht abschlossen.
In all diesen Behältnissen wurde etwas aufbewahrt, mit anderen Sachen gemischt oder mit Wein und Wasser angesetzt, damit sich die Heilkraft steigerte. Da waren braune Nüsse und grüngelbe Pflanzensamen, rote und schwarze Beeren, getrocknete Pilze, tiefschwarzer Mohn, immergrüne Farne, und Blätter und Zweige von Bäumen wie Esche, Linde, Birke und vielen anderen. Die verschiedenen Kräuterbündel an der Decke konnte nur Justina benennen und unterscheiden, aber die zum Trocknen in dünne Scheiben geschnittenen Äpfel und Birnen, die an feinen Hanfstricken herabhingen, das Gemüse wie Lauch, Gelberüben und Kohl und die Blütendolden des Hollers sowie die herbsauren Früchte der Schlehe kannten auch die Kinder gut.
„Jetzt aber runter mit den nassen Sachen!“ rief Justina fröhlich, als die drei den Baderaum betraten, und die Mädchen zogen sich aus und legten ihre schmutzigen Gewänder auf die Bank vor der in Stein gemauerten, gefliesten Wanne, während Justina von draußen Kübel um Kübel mit heißem Wasser brachte und in das Becken schüttete. Als genügend Wasser da und auch die Temperatur von ihrer Hand geprüft war, streute sie eine Handvoll Getrocknetes ins Bad, und ein angenehmer Duft nach süßen Blüten und aromatischen Kräutern erfüllte den Raum. Zusammen stiegen die durchfrorenen Kinder jetzt ins warme Wasser, Afra mit ihren glatten, festen Gliedern und einem kräftigen Mädchenkörper, und die magere Richlint mit ihrer hellen, dünnen Haut und den vorsichtigen Bewegungen eines unsicheren, kleinen Kindes. Justina holte einen großen Kübel mit frischem Wasser, setzte sich auf die Bank neben den badenden Mädchen und begann, die Kittel und Unterkleider der beiden zu reinigen. Dabei erzählte sie mit leichter Stimme und scheinbar unbeschwert von vergangenen Zeiten und dem sonnigen Land, aus dem ihre Mutter stammte. Die Kinder würden ihr schon noch sagen, warum sie so dringend und mit so traurigen Gesichtern an diesem Tag des Herrn zu ihr gekommen waren, da war sie sicher, man mußte ihnen nur die Zeit lassen, ihre Gedanken zu ordnen und die richtigen Worte für ihr Anliegen zu finden.
„Vor einigen hundert Jahren gab es hier auf dem Gutshof noch fließendes Wasser, niemand mußte schwere Kübel und Eimer von draußen herein schleppen, und sogar durch den geheimen Abtritt floß das Wasser hindurch und nahm den Kot mit, so daß es dort immer sauber und reinlich blieb. Auch eine Heizvorrichtung mit gebrannten Röhren aus Tonerde unter dem Boden hatten die Bewohner, dieses Können und Wissen haben die römischen Soldaten aus ihrer Heimat mit nach Germanien gebracht, denn sie haben ihre Häuser hier genauso angelegt wie im Süden.“
Afra unterbrach die Erzählung von Justina ungläubig. „Aber wie ist das Wasser denn ins Haus gekommen? Hier drin ist doch keine Quelle!“ Justina lächelte. „Das stimmt, Afra, die Quelle des Bächleins ist ein gutes Stück weit weg. Aber die Römer haben Eichenstämme ausgehöhlt und miteinander verbunden, und darin wurde das
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