Mein Name ist Afra (German Edition)
Raginfrid, dem die Brauerei des Klosters unterstand, ging freundlich lächelnd mit einer schweren Kelle umher und schenkte aus dem hölzernen Faß, das ein anderer Mönch auf einem kleinen Karren nebenher schob, allen Leuten unentwegt frisches Bier in ihre Becher, und vom vielen Trinken wurden die Männer rot im Gesicht und immer lauter bei ihren Gesprächen.
Richlint und ich saßen mit den anderen aus Pitengouua bei einer Meierfamilie aus Bobinga, einem kleinen Weiler nicht weit von unserem Dorf auf der anderen Seite der Ambra, und mein Vater Wezilo unterhielt sich angeregt mit dem Oberhaupt dieser Familie über die Ernte und das Wetter und was sonst noch einen Bauern beschäftigte. Liutbirc und Walburc musterten gründlich die Kleidung und den Schmuck der Frauen und Mädchen aus dem Nachbardorf, und als der Vergleich zu ihren eigenen Gunsten ausfiel, waren sie sehr zufrieden und fingen an, den Kopf nach stattlichen, jungen Männern zu drehen und miteinander zu tuscheln.
Bei Rasso und Wichard drehte sich das Gespräch nur um Waffen und Pferde, und die beiden Söhne des Bobinger Meiers, die ungefähr im selben Alter waren, redeten eifrig dabei mit und hatten zum Leidwesen von Liutbirc und Walburc keine Augen für Mädchen. Nachdem die Frau des Meiers ein paar höfliche Worte mit mir gewechselt und nach meiner Mutter Rautgund gefragt hatte, wußte sie nichts mehr zu sagen und starrte ziemlich unverhohlen und neugierig auf Richlint, deren Herkunft natürlich in der ganzen Gegend bekannt war und deren Freisprechung durch den Grafen Roudolf die Gemüter erregt hatte.
„Bist du das unfreie Kind vom Graf Eticho?“ fragte die kleine Tochter der Meiersfrau und schaute Richlint arglos in die Augen, und als sie ihre Mutter mit dem Ellbogen in die Seite stieß, um das Kind zum Schweigen zu bringen, verstand die Kleine das nicht und wollte von Richlint auch noch wissen, ob ihre Mutter Folchaid wirklich so schön war, wie man überall erzählte. An einem anderen Tag wäre Richlint vielleicht böse geworden oder hätte das kleine Mädchen einfach stehengelassen, denn sie haßte es, neugierigen Blicken und Fragen ausgesetzt zu sein, aber heute war ein besonderer Tag für uns, und sie antwortete dem Kind freundlich und geduldig, ohne die wißbegierige Mutter weiter zu beachten. Die Klosterinsel und vor allem die steinerne Kirche mit ihren Lichtern, den bunten Bildern und den goldenen Schätzen, die heilige Messe mit den Liedern und Gebeten und die vielen, fremden Menschen waren für uns beide so neu und aufregend, daß wir von diesen Eindrücken ganz überwältigt und mild und sanft gestimmt waren.
Die Sonne war gerade untergegangen und das Fest auf seinem Höhepunkt angelangt, denn jetzt wurden heiße, fettig glänzende Stücke vom fertig gebratenen Ochsen auf großen Schalen herumgereicht, und ein jeder konnte sich davon nehmen, soviel er wollte, und dazu gab es kleine, gewürzte Brotlaibe aus der Klosterkuchl, außen knusprig und innen weich und weiß und noch ganz warm vom Backen. Die Meiersfrau mir gegenüber hielt in der einen Faust einen großen Ochsenknochen mit dicken Fleischstücken und brauner, kroßer Haut, und in der anderen einen Brocken von dem guten Brot, und sie war so mit Schmausen und Genießen beschäftigt, daß sie ihre Neugierde vergaß und Richlint nicht mehr anstarrte, sondern uns allen ein aufgeräumtes, fettiges Lächeln schenkte. Zusätzlich zum Licht der offenen Feuer wurden nun Fackeln in den Boden gesteckt, denn es war mittlerweile ganz dunkel geworden, und die Schatten der feiernden Menschen bewegten sich auf den steinernen Gebäuden ringsum wie gesichtslose Riesen hin und her. Alle lachten und tranken und aßen, und am Nachbartisch fing ein Mann an, mit tiefer, wohlklingender Stimme einige Verse zu singen, und ein anderer fiel ein und gab ihm singend Antwort, und vor lauter Zuhören und Schauen und Staunen vergaß ich fast das Essen.
Aus dieser heiteren, glücklichen Stimmung wurden wir jäh herausgerissen, als am Eingang des Klosterhofs Tumult und Lärm entstand, und wir hörten laute, aufgebrachte Männerstimmen, Frauen, die ängstlich nach ihren Kindern riefen und das bedrohliche Klirren von Waffen und Rüstungen. Mein Vater Wezilo sprang mit einem Satz auf seine Füße und verlangte nachdrücklich Ruhe, damit alle erfahren könnten, was denn eigentlich los sei, und Vater Raginfrid brachte einen jungen, heftig schnaufenden Mann an unseren Tisch und hieß ihn hinaufsteigen, damit alle
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