Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
eingeteilt.
Ich betete inständig, dass Nick der richtigen Lehrerin zugewiesen würde. Es standen drei zur Auswahl, von denen zumindest eine sehr vielversprechend aussah. Das Auge lernt schließlich mit. Nick und ich hatten Glück. Wir folgten der Dame in die Klasse, in der es genau so roch, wie es riechen muss.
Bruno und Nick setzten sich nebeneinander in die dritte Reihe und fingen sofort einen beherzten Schwertkampf mit ihren Linealen an. Dattelmann fragte, ab wann die Schule denn Englisch anböte und dass man ja ganz früh damit beginnen müsse, und Kinder seien im Prinzip leere Eimer, die man mühelos mit Wissen füllen könne und dass es von Anfang an um die Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt einer veränderten, nämlich globalisierten Gesellschaft ginge und er die Schule letztlich als Dienstleister betrachte, um seine Tochter fit for the job zu machen.
Später ging ich mit meinem leeren Eimerchen an der Hand wieder nach Hause. Ich fragte es, wie ihm seine Einschulung gefallen habe. Nick biss in ein Kaubonbon und dachte nach. «Ganz gut, nur etwas langweilig. Ich glaube, morgen gehe ich nicht hin. Vielleicht nächste Woche wieder.» Mir fehlte die Kraft, ihm zu sagen, dass er nicht nur morgen, sondern auch übermorgen, genau genommen die nächsten zwölf Jahre hingehen würde. Danach wird er den Anforderungen einer sich veränderten Gesellschaft gewachsen sein. Wie er so ahnungslos neben mir her marschierte und einen Kieselstein kickte, wurde ich ganz traurig.
Wir haben gewählt
Wenige Tage vor dem Urnengang wusste ich immer noch nicht, wen ich wählen sollte. Ich befragte den Wahl-O-Mat im Internet, und dabei kam heraus, dass ich unbewusst offenbar eine Koalition aus der FDP und den LINKEN herbeisehne. Wählen kann ich aber beide nicht, denn wenn man die FDP wählt, stimmt man automatisch auch für die CDU und eben nicht für die LINKE. Und wenn man die LINKE wählt, stürzt man die SPD in einen Abgrund aus Scham und Verzweiflung. Also grübelte ich weiter und konsultierte schließlich meine Kinder.
Ich druckte Bilder der Spitzenkandidaten aus und legte sie auf den Esstisch, dazu auch ein Foto von Rolf Töpperwien, dem Horst Schlämmer des deutschen Sportjournalismus. Nur so zum Spaß. Dann fragte ich Carla und Nick, ob sie wüssten, wer da so vor ihnen lag. Carla erkannte zumindest Angela Merkel. «Das ist unsere Bundeskanzlerin», rief sie. Nick fügte hinzu, dass die Bundeskanzlerin aussähe wie ein Kinderpilz. Er meinte damit einen Wiesenchampignon. Dann fügte er hinzu, dass man doch überhaupt nicht mehr zu wählen bräuchte, wenn sie schon Kanzlerin sei. Ich erklärte ihm, dass man das alle paar Jahre wiederholen müsse und dass Angela Merkel aus dem Osten und in der CDU sei. «Was ist denn der Osten?», fragte Nick. Für einen Sechsjährigen ist das eine statthafte Frage. Carla übernahm die Antwort, indem sie altklug mitteilte, dass der Osten früher zu Russland gehört und dass es dort praktisch nix gegeben habe. Ich griff korrigierend ein, dass es dort sehr wohl etwas gegeben habe, und sie erwiderte: «Die im Osten hatten ja nicht mal ’ne Nordsee.»
«Aber eine Ostsee», sagte ich. Und dass die Partei der Bundeskanzlerin, die CDU, aus dem Westen sei, immerhin. Das verwirrte Nick, und er sah sich den Spitzenkandidaten der LINKEN an. Ich erklärte ihm, dass die LINKE zwar im Wesentlichen aus dem Osten sei, der Mann mit dem roten Kopf jedoch aus dem Westen. «Dann kann ja der Mann mit dem roten Kopf aus dem Westen für die CDU sein und die Frau aus dem Osten für die LINKE», schlug Carla vor.
Nick ging nun zum Kandidaten der CSU über. Der käme aus dem Süden, sagte ich. «Aus Italien?», fragte Nick. Er findet Italien cool und weiß, dass es im Süden liegt. «Nein, aus Traunstein», sagte ich, was Nicks Interesse an Peter Ramsauer schlagartig erlahmen ließ. Auch Frank-Walter Steinmeier fand keine Gnade. Abgesehen von seiner Superheldenfrisur war der SPD-Kandidat meinem Sohn zu alt, außerdem trägt er keine Laserwaffen. Immerhin: Renate Künast fand Carla ganz okay, weil sie sie an eine Vertreterin der Schulpflegschaft erinnerte, die ihr im vergangenen Jahr ein Stück Marmorkuchen geschenkt hat. Ich schob ihren Mitstreiter Jürgen Trittin nach vorne. «Er guckt wie die Lokomotive von Bob, dem Baumeister», entschied Nick, und Carla sagte, dass sie Jürgen Trittin unter gewissen Umständen wählen würde. «Unter welchen Umständen denn?»
«Wenn er mir zehn Euro gibt.»
«Der hier
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