Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
leuchtete, und dazu begann ein sagenhafter Wind! Es war wie in der TV-Serie «Lost», wenn die Zeitverschiebung einsetzt: Ein Orkan aus Luft und Sonne, ein großes SCHSCHSCH und ein helles BLINK, das durch meine geschlossenen Augen einen sagenhaften Trip auf meine Netzhaut malte. Die Folie flatterte wie ein Segel unter voller Fahrt.
Ich hatte zehn Minuten davon bestellt, aber die Sekunden nicht mitgezählt. Waren bereits vier vergangen oder sogar acht oder erst zwei? Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Nach einer gefühlten Stunde wurde es dunkel, nur der Wind blies noch weiter, um irgendwann zu ersterben. Ich klappte den Deckel hoch, öffnete die Augen und schälte mir die klebrige Folie vom Rücken. Dann säuberte ich die Liegefläche, zog mich an und verließ das Sonnenstudio.
Mein Gesicht kribbelte. Auch sonst war nichts beim Alten. Keine Autos, die Post und der Optiker waren weg. Ich fuhr über menschenleere Straßen nach Hause, wo ich im Garten einen Mann traf. Er fiel mir um den Hals und rief: «Vater! Ich dachte, du wärst tot.»
«Ich war nur im Sonnenstudio. Warum bist du so erwachsen?»
«Vielleicht, weil du sechzehn Jahre weg warst.»
Nick erzählte mir ein wenig von sich und der Welt im Jahr 2027. Es gibt dort kein Benzin mehr und auch keine Computer. Diese befinden sich ab dem dritten Lebensjahr in den Köpfen der Menschen, und man schickt Mails, indem man an den Empfänger denkt. Das Ganze nennt sich iBrain , und es ersetzt auch das Fernsehen und das Kino und sämtliche Büroarbeitsplätze. Ich fragte nach Sara und Carla, und Nick erklärte mir, die seien in die Stadt gegangen, um sich dort größere Ohren machen zu lassen, was gerade sehr in Mode sei.
Ich wäre gerne geblieben, um zu sehen, wie sich Frau und Tochter entwickelt hatten, aber die Furcht und die Aufregung ließen mich flüchten. Ich stürzte zum Auto, raste zurück zum Sonnenstudio, stellte das Gerät abermals auf zehn Minuten ein, warf Geld in den Automaten und schwang mich in voller Bekleidung auf die Liege. Es blitzte und tobte und der Wind rüttelte an mir wie wahnsinnig.
Ich habe es geschafft und bin wieder da. Wenn Sie diese Zeilen lesen, befinde ich mich allerdings abermals auf dem Weg zum Sonnenstudio. Mal sehen, was passiert, wenn ich das Ding auf zwanzig Minuten einstelle.
Fragen über Fragen
Neulich platzte ich in eine weibliche Diskussionsrunde, die an unserem Esstisch Platz genommen hatte, um bei Weißwein und Käse zu erörtern, wie es kommt, dass Männer jenseits der vierzig keine Haare mehr an den Waden haben. Das trifft zwar auf mich nicht zu, aber die Frage ist hochinteressant, das muss ich zugeben. Es ist ja ganz einfach, den Zugewinn von Haaren zu erklären: Sie wachsen. Aber warum wachsen sie irgendwann nicht mehr, besonders an den Waden? Die Damen entwickelten zunächst folgende krude Theorie: Die Strümpfe seien schuld. Wer mehrere Jahre hindurch täglich die Unterschenkel in Kniestrümpfe zwänge, müsse sich nicht wundern, wenn die eingeklemmten Haare irgendwann beleidigt das Wachstum verweigerten. Stattdessen suchten sich die Haare eben andere Ausgänge und wüchsen aus Nasen und Ohren und Rücken.
Eine zweite Theorie besagte, dass die Haare von den Männern heimlich entfernt würden. Man träfe sich in Wahrheit überhaupt nicht zum Fußballgucken, zum Kartenspielen oder in der Kneipe, sondern konspirativ beim Brazilian Waxing der Wadengegend. Das sei den Männern peinlich und daher kein Thema. Ein dritter Lösungsansatz wurde von den übrigens leicht angeschickerten Frauen nicht weiter verfolgt. Demnach sei der Verlust der Wadenbehaarung auf einen gewissen Energieverlust von alternden Männern zurückzuführen. Die Natur habe beschlossen, dass es sich an dieser Stelle nicht mehr lohne, Haare in Szene zu setzen, da dadurch weder Weibchen angelockt noch Mammuts erlegt würden. Der Rücken habe hingegen eine gewisse atavistische Bedeutung für das männliche Selbstbewusstsein, und darum wüchsen dort zum wohligen Grusel junger Frauen Haare.
Auf jeden Fall ist damit die Frage beantwortet, worüber sich Frauen eigentlich so unterhalten, wenn sie unter sich sind. Nicht über den Klimawandel, nicht über Klientelpolitik und nicht über Steuergerechtigkeit, sondern über Wadenhaare. Andere relevante Fragen des Alltags werden hingegen wohl in diesem Leben nicht mehr beantwortet werden: Was macht man mit einer Kaki? Warum riecht es im Autoinneren nach Scheibenwischwasser, wenn ich am Autoäußeren die
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