Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Scheibe reinige? Wofür genau ist noch mal die FDP in der Regierung? Ist das mit dem FC Bayern wirklich so einfach? Wo kommt das eklige Wasser im Frischkäse her? Wonach schmeckt Red Bull?
Immerhin kann eine andere Frage an dieser Stelle doch noch beantwortet werden und dem Leseerlebnis dieses Textes ein wenig Puderzucker aufs Krönchen streuen. Ich habe doch vor einigen Seiten in diesem Buch meinen Sohn Nick mit der Bitte zitiert, ihm zu erklären, woraus Fliegen bestehen. Konnte ich damals nicht erläutern und stellte mir vor, dass Ranga Yogeshwar dies ganz sicher wüsste. Und das stimmt. Ich freue mich sehr, dass er sich die Zeit genommen hat, Nick und allen anderen Kindern hier schnell mal zu erklären, was es mit der Fliege auf sich hat. Die Antwort ist allerdings nicht besonders spannend, denn eine Fliege besteht vor allem aus Proteinen. Viel eindrucksvoller ist, was mir Ranga Yogeshwar zu dem Thema noch schrieb: «Eine einfache Stubenfliege ist eine einzige Provokation des technikbegeisterten Menschen. Beginnend mit der extrem feinen Struktur des Chitins, über die Magie der schmeckenden Füße, der Rolle rückwärts beim Landen auf der Stubendecke bis hin zum sagenhaft schnellen ‹Denken›, welches als erwiesen gilt: Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera filmten Wissenschaftler, was die Fliege macht, wenn sich eine Fliegenklatsche nähert. Statt im Reflex blind wegzufliegen, analysiert sie, woher die Gefahr kommt. Erst nach dieser Planung dreht sie sich und platziert ihre Beine in eine optimale Startposition. Dann fliegt sie los, indem sie sich leicht abdrückt. Diese Fluchtprozedur läuft innerhalb einer Zehntelsekunde ab und ist eben kein Reflex, sondern eine geplante Aktion.»
Eine geplante Aktion ist das. Soso. Daran sollte ich mir hin und wieder ein Beispiel nehmen.
Mein leeres Eimerchen
Nicks Einschulung warf schon Monate zuvor ihre Schatten voraus. Es handelt sich dabei immerhin um einen Tag von zentraler Bedeutung im Leben eines Menschen, um dessen erste Begegnung mit der Leistungsgesellschaft. Und die soll ja möglichst einprägsam sein, damit man sich für immer daran erinnert, wie das ganze Elend begonnen hat. Bereits im Mai bestellte Sara eine phänomenale Schultüte, die genauso groß war wie unser Sohn. Er kannte diesen Brauch aus Erzählungen älterer Nachbarskinder und seiner Schwester und freute sich auf die Süßigkeiten. Im Grunde genommen freute er sich nur darauf, auf nichts sonst.
Wir kauften Hefte, Lineal, Stifte, Tornister, Turnbeutel, Mäppchen. Nick spielte damit in seinem Zimmer Schule, was im Wesentlichen darauf hinauslief, dass er sich selbst anschrie und Buchstaben malte. Diese brachte er mir ins Büro und fragte: «Was habe ich da geschrieben?»
«Lass mal sehen. Da steht: MKTVIC.»
«Und was bedeutet das?»
«Ich fürchte, das bedeutet nichts.»
Das stimmte ihn sehr sorgenvoll, obwohl ich ihm (besseren Wissens) versprach, dass bald schon, in der Schule nämlich, alles einen Sinn bekäme.
Als der große Tag gekommen war, spazierten wir mit ihm zur Grundschule. Nick trug seine Schultüte und hieb sie zur Begrüßung seinem Freund Bruno auf den Kopf, der dasselbe bei ihm tat, sodass beide Tüten bereits vor ihrer Entsiegelung den Dienst quittierten. In der Turnhalle gab es dann eine festliche Ansprache des Direktors, welcher die Erstklässler mit den Worten begrüßte: «Die Kleinen auf den Boden, die anderen dahinter auf die Bänke und die Eltern an die Wand.» Dann sang der Schulchor, und Ulrich Dattelmann, der Vater von Nicks Klassenkameradin Chiara-Roxana, filmte alles gewissenhaft mit seiner Kamera. Zwischendurch herrschte er seine Frau und alle Umstehenden an, dass da gerade eine Aufnahme liefe und er hinterher unser ganzes Gerede auf dem Film hätte und nichts vom Schulchor hören könne und dass man bitte ein wenig Rücksicht nehmen solle. Ich habe den Film nicht gesehen, aber ich bin sicher, es ist die ganze Zeit nur Dattelmann darauf zu hören.
Anschließend erläuterte der Direktor ausführlich sein Schulkonzept; es war von Gemeinschaft die Rede und davon, dass man die junge Generation auf die Herausforderungen einer veränderten Gesellschaft vorbereiten müsse. Die Gesellschaft in meiner unmittelbaren Umgebung aß einen Popel und fragte ziemlich laut, wann wir wieder nach Hause gehen könnten, es sei nämlich sehr öde, und wenn das so bliebe, dann Prost Mahlzeit. Nachdem Dattelmann zum zweiten Mal das Band gewechselt hatte, wurden endlich die Klassen
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