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Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Titel: Mein neues Leben als Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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vor, ihren Hamster Antonio zu nennen, wovon ich sie abbringen konnte, weil es sich um ein Weibchen handelt. Es trägt nun den Namen Steve. Das ist zwar auch nicht unbedingt ein Mädchenname, aber ergibt wenigstens einen Sinn. Der Name war meine Idee, weil mich das Tier an Steve McQueen in dem Ausbrecherdrama «Papillon» erinnert. Genau wie dieser scheint auch die Hamsterin Tag und Nacht nur an eines zu denken: Flucht. Von der ersten Sekunde an begann sie, die Metallstäbe des Käfigs anzunagen. Sie hing sich an die Decke ihrer Behausung und hielt sich mit den Zähnchen an den Gitterstäben fest. Die rührende Vergeblichkeit ihres Tuns hielt sie keineswegs davon ab, mit der Nagerei aufzuhören. Tagelang probierte sie es immer wieder, suchte sich ständig neue Stäbchen aus, inzwischen hat sie immerhin die schwarze Farbe des Metalls abgeknabbert.
    Lilly hingegen verhielt sich ruhig, obwohl sie mit Nick einen entschieden anstrengenderen Zimmergenossen hatte. Unser Sohn baute einen Turnparcours in einer mit Stroh ausgelegten Kiste. Diese enthielt mehrere von ihm gebastelte Sportgeräte, unter anderem eine Wippe, die aus einer Brio-Bahn-Schiene und einem Prittstift bestand. Komischerweise wollte Lilly gar nicht drübergehen und setzte sich auf ein Ende, um abzuwarten. Nick drückte mit Schwung auf die andere Seite der Wippe, und Lilly flog rekordverdächtige zwanzig Zentimeter in die Luft, landete danach sanft im Stroh und lehnte jede weitere Zusammenarbeit ab. Ein anderes Experiment stoppte ich bereits im Stadium der Vorbereitung. Nick plante nämlich, Lilly durch die Badewanne schippern zu lassen – und zwar in seinem Lego-U-Boot.
    Dann war Lilly weg. Eines Morgens fanden wir den Käfig leer vor. Offenbar hatte Nick ihn nicht richtig geschlossen, und Lilly war nachts ausgebüxt. Wir suchten sie überall, wir rückten Schränke ab, sahen hinter Gardinen und der Waschmaschine nach und entdeckten dabei allerhand interessante Dinge, wie zum Beispiel meinen Reisepass. Jemand hat darin herumgemalt. Ich trage auf dem Foto eine Art Playmobil-Frisur und einen Spitzbart.
    Wir fanden jedenfalls alles Mögliche, bloß kein Nagetier. Nick war außer sich vor Kummer. Also kaufte ich noch am selben Tag einen neuen dsungarischen Zwerghamster, wieder ein Weibchen. Es heißt Gimli und ist ein bisschen dick, weswegen Nick der Ansicht ist, dass ihr ein Sportprogramm sicher guttun würde. Obwohl Gimli sich inzwischen gut eingelebt hat, denke ich oft an Lilly. Wo mag sie sich wohl versteckt haben? Ich lausche auf jedes Knacken und Knistern im Haus und bilde mir ständig ein, sie auf dem Dachboden trippeln zu hören.
    Carlas Hamsterin Steve ist übrigens seit Lillys Ausbruch merkwürdig ruhig. Sie nagt nicht mehr an Gitterstäben, eigentlich bewegt sie sich kaum noch, benimmt sich auffallend unauffällig. Sie sitzt nur in ihrer Ecke, knabbert ihr Futter und sieht mich düster an, wenn ich ins Zimmer komme. Ich glaube, sie wartet auf Lilly. Eines Nachts wird Lilly kommen und in einem günstigen Augenblick den Käfig öffnen, und dann verschwindet auch Steve. Wir müssen wachsam sein.

Das Obama-Komplott
    Mir kann niemand mehr etwas vormachen, denn ich weiß Bescheid über das große Obama-Komplott. Ulrich Dattelmann hat mir alles sehr plausibel erläutert. Er ist der Vater von Frank-Ribery und Chiara-Roxana. Namen wie Faustschläge in die Magengrube empfindsamer Ästheten. Egal. Jedenfalls ist Dattelmann Elternsprecher in Nicks Klasse. Dieser Dattelmann hat den Weihnachtsbasar auf dem Schulhof organisiert. Er ist ein Aktivitäts-Terrorist. Dattelmann kennt alle Spielregeln der Welt, und er besitzt eine Trillerpfeife, mit der er auf Schulfesten den Strom der Ereignisse und alle Besucher steuert. Gut, wir hätten Dattelmann nicht wählen müssen, damals im Sommer. Aber es gab keinen Gegenkandidaten. Und jetzt sollten wir uns von ihm in Schichten einteilen lassen, um Waffeln zu backen, Kastanienmännchen zu verkaufen und Punsch auszuschenken. Ich behauptete am Telefon, dass ich den Pool kärchern müsse, aber Sara erinnerte mich unnötigerweise daran, dass wir weder einen Kärcher noch einen Pool hätten. Außerdem böte ein Weihnachtsbasar die Gelegenheit, andere Eltern kennenzulernen.
    «Wieso?», maulte ich. «Früher oder später trifft man sich doch sowieso vor Gericht.» Es ist doch wirklich so, dass sich Eltern im Laufe eines langen Schülerdaseins zwangsläufig begegnen. Zum Beispiel, wenn ein Vater die Tochter von der Kellerparty eines

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