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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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ihm drei- oder viermal vergeblich und wollte schon gehen, als ich schließlich seine Schritte im Korridor hörte. Zu meiner Verwunderung öffnete er die Tür nur spaltbreit und knurrte mir entgegen, Herr Danckelmann sei verreist und die Kanzlei bliebe für einige Tage geschlossen.
    »Mach keinen Unsinn!« rief ich ihm zu, »ich bin's!«
    »Ach, du bist es, Hermann — ich habe dich in der verdammten Dunkelheit nicht erkannt. Komm herein, mein Junge!«
    Etwas schien mit ihm nicht ganz in Ordnung zu sein... War er wieder vor die Fäuste eines Berufsboxers geraten?
    »Bist du krank?« fragte ich, während er mir durch den schlauchartigen Korridor voranging.
    »Nein, nur ein bißchen müde«, antwortete er mir laut gähnend. »Ich hatte mich gerade für eine halbe Stunde aufs Ohr gelegt. Man kommt ja vor lauter Arbeit nicht mehr rum Niedersitzen. Und erschrick nicht, wenn du das Büro siehst. Die Bude ist noch nicht ganz aufgeräumt.«
    Nicht ganz aufgeräumt...! Es war das Schlimmste von Verwahrlosung, was mir jemals in meinem Leben unter die Augen gekommen war, und das will schon etwas heißen, wenn man zwölf Semester lang auf alle möglichen Studentenbuden gekommen war. Wahrhaftig, das Zimmer sah aus, als ob eine geballte Ladung darin krepiert wäre. Der Stuhl mit dem schadhaften Rohrgeflecht war völlig durchgebrochen, und der andere lag mit einem abgeknickten Bein am Boden. Alles war mit Zigarrenasche, Zigarettenstummeln, Wursthäuten und Scherben übersät, und Batterien von leeren und halbgeleerten Bier- und Likörflaschen — rot, grün, gelb und in allen Farben schillernd — rollten und standen in wüstem Durcheinander und in klebrigen Lachen auf dem Boden und auf dem Schreibtisch.
    Ich riß beide Fenster auf, denn der Kneipengestank war fast noch schlimmer als der Anblick der Verwüstung.
    »Leben und leben lassen!« sagte ich anzüglich, und: »Trinke, was das Konto hält, von dem goldnen Überfluß der Welt...«
    »Quatsch!« unterbrach mich Onkel Ferdinand, »der ganze Abend hat mich nicht eine Kopeke gekostet. Alles ging auf Gustavs Rechnung. Sogar die Wurstbrote und Rollmöpse.«
    »Wer ist Gustav?« erlaubte ich mir zu fragen.
    »Na, Menschenskind, mein Freund Gustav Graser natürlich!« antwortete Onkel Ferdinand. »Nun tu doch bloß nicht so, als ob du Gustav nicht kennst!«
    »Gustav Graser... Den Namen habe ich doch irgendwo gelesen...«
    Onkel Ferdinand nickte mir aufmunternd zu. »Na, klar doch, Hermann — der Brief aus Dortmund!«
    »Das ist doch nicht etwa der Bursche, dem du seiner Kredit-Würdigkeit wegen auf den Zahn fühlen solltest?!« rief ich nicht wenig bestürzt.
    »Richtig, Hermann, genau der ist es!« bestätigte Onkel Ferdinand mit sonorer Stimme. »Ein prachtvoller Kerl. Ein Goldjunge, dem ich mein letztes Hemd geben würde.« Er korkte eine Flasche mit giftgrünem Pfefferminzschnaps zu, die noch halbgefüllt auf dem Fensterbrett stand. »Und ein Fachmann! Da gibt es nichts daran zu tippen. Seine Schnäpse sind einfach ganz große Klasse. Junge, Junge, wir haben hier, wie du siehst, doch wirklich allerhand gepichelt und Liköre dazu, die im allgemeinen gar nicht mein Fall sind, aber ich muß dir sagen, daß ich ein Köpfchen habe wie aus Glas, so hell und klar. Wirklich, Hermann, mein Wort darauf, was Gustav fabriziert, das sind reine Naturprodukte, sauber wie Milch und Honig. Jawohl, wie Milch und Honig!«
    »Hast du mit Herrn Graser etwa über die Kreditgeschichte und deinen Auftrag gesprochen?« fragte ich ahnungsvoll.
    »Wo denkst du hin?« rief Onkel Ferdinand ehrlich entrüstet, »kein Sterbenswort! Im Gegenteil, ich habe ihm die Würmer aus der Nase gezogen!« Er fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch seinen ziemlich verwüsteten weißblonden Scheitel und stöhnte dabei leise auf, als täten ihm die Haare trotz der reinen Naturprodukte, die er hinter die Binde gekippt hatte, ziemlich weh.
    »Erst später, als wir miteinander Brüderschaft getrunken hatten, Gustav und ich, da habe ich ihm so 'ne leise Andeutung gemacht. Und damit du siehst, Hermann, was für ein tadelloser Kerl mein Freund Gustav ist: auf der Stelle hat er mir seine Bücher vorgelegt, blank und ehrlich bis auf die Knochen. Und dann haben wir zu dritt, Gustav, Willi und ich, dem ollen Essenzonkel in Dortmund ein Auskünftchen von acht vollen Schreibmaschinenseiten hingelegt, an dem aber auch alles dran ist!« Er spitzte die Lippen und sandte dem bereits abgeschickten Bericht mit zwei Fingern ein Küßchen

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