Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
Kochbuch herumblätterte, begann ich fast daran zu zweifeln, daß Fräulein Drost mir die >Nümbergisch wohlunterrichtete Köchinn< mit der Absicht zugesteckt hatte, mir und meiner Neugier eine scherzhafte Abfuhr zu erteilen.
    Ich muß gestehen, daß die Lektüre dieser Rezepte mich mit einer heiteren und unerschütterlichen Zuversicht für den in der letzten Zeit so oft angezweifelten Fortbestand der Menschheit erfüllte. Wir sind ein zähes Geschlecht. Was kann uns schon das bißchen Strontium schaden, das wir im Salat oder im Bircher-Benner-Müsli schlucken? Es erschien mir, nachdem ich dreißig oder vierzig Rezepte gelesen hatte, gar nicht mehr erstaunlich, daß die Menschheit die Eiszeiten und die Fieberkrankheiten der Tropen, die Trommelfeuer der Weltkriege und die Bombenstürme überstanden hat, viel erstaunlicher war, daß diese mörderischen Rezepte sie nicht ausgerottet hatten. Jedenfalls hatte ich für meinen nächsten Besuch bei Fräulein Drost ein schier unerschöpfliches Gesprächsthema.
    Vorläufig sah es allerdings gar nicht darnach aus, daß dieses Gespräch Jemals stattfinden würde. So sehr mich auf der einen Seite Murchison und seine dunklen Absichten beunruhigten, so sehr kränkte es mich aber auch, daß er bei Fräulein Drost so leicht zu einer Verabredung gekommen war, und ich schwankte nun, ob ich sie für instinktlos oder gar für leichtfertig halten sollte. Meine Erfahrungen mit Frauen waren äußerst dürftig. Daß Weiberherzen trügerisch seien, erschien mir plötzlich sehr glaubwürdig.
    Drei Tage lang grollte ich und brachte es fertig, das Kochbuch zu studieren und in Gedanken den höflich kühlen Brief zu entwerfen, mit dem ich Fräulein Drost das Buch durch die Post zurücksenden wollte. Als ich mich schließlich doch dazu durchrang, ihr den Folianten persönlich zurückzubringen, kam etwas anderes dazwischen.
    Meine Eltern hatten zwei Karten für eine Aufführung von >Figaros Hochzeit< genommen, die im Fürstengarten des Schlosses stattfinden sollte. Einige auswärtige Kräfte in den Hauptrollen und ein Gastdirigent mit berühmtem Namen gaben dieser Aufführung eine besondere Anziehungskraft. Im letzten Augenblick wurde mein Vater zu einer wichtigen Dekanatssitzung gerufen und mußte mir seine Karte überlassen. Ich schob meinen Besuch bei Fräulein Drost also für den nächsten Tag auf und begleitete Mutter in den Fürstengarten.
    Die Szenerie war auf einem leicht überhöhten Rasenrondell aufgebaut, das sich zwischen den rechts und links im Halbrund laufenden, spiräeverhängten Arkaden öffnete. Den Hintergrund bildeten die mit Amoretten verzierten, breit auf steigenden Treppen und eine Mauer, von der Kaskaden dunkelblau blühender Aurikeln herabstürzten. Im Licht der Scheinwerfer leuchtete dieses Blau samten und zauberhaft hinter den Büschen auf.
    Neben der Bühne, von Sträuchern halb verdeckt, saß das Orchester. Und während die Dämmerung herabsank und die Stuhlreihen sich immer dichter füllten, stimmten die Musiker ihre Instrumente.
    Meine Mutter — in einem schwarzseidenen Abendkleid und mit einem Silberfuchscape über den Schultern — grüßte und winkte nach rechts und links und forderte mich durch heimliche Püffe auf, mich in irgendwelche Richtungen zu verbeugen. Ich wünschte nichts sehnlicher herbei als den Beginn der Vorstellung und hielt nach dem Gastdirigenten Ausschau — und erstarrte plötzlich. Denn von dem gleichen Diener in Schnallenschuhen und schwarzen Eskarpins begleitet, der Mutter und mich zu unseren Plätzen gebracht hatte, erschien Mister Murchison vor den Stuhlreihen und ließ sich zu einem Mittelplatz in der ersten Reihe führen. Die Dame in seiner Begleitung aber, die sich leicht auf seinen Arm stützte, da ihre hohen Absätze in dem weichen Grasboden versanken, war niemand anders als Gertrud Drost. Sie trug ein cremefarbenes, sehr elegantes Abendkleid mit einer Garnitur breiter Spitzen.
    Meine Mutter hob das Lorgnon an die Augen.
    »Schau nach vorn, Hermann«, zischelte sie mir ins Ohr, »eine entzückende junge Frau. Wirklich elegant und vornehm... Und er nicht weniger...«
    In diesem Augenblick grüßte die >entzückende junge Frau< zu uns hinüber, und ich erwiderte den Gruß so steif und knapp, als hätte ich zum Abendessen anstatt der Bratwürste einen Spazierstock verschluckt. Murchison schien weder den Grußwechsel noch mich bemerkt zu haben. Dafür war meiner Mutter nichts entgangen.
    »Kennst du das reizende Paar?« fragte sie

Weitere Kostenlose Bücher