Mein Onkel Ferdinand
daß ich froh war, durch die beiden Kundinnen ein wenig Zeit zu gewinnen. Ich ahnte natürlich, was in ihr vorging. Sie hatte sich mir anvertraut, wie es manchmal auf langen Bahnfahrten geschieht, wo man einem zufälligen Reisegefährten — eben in dem Bewußtsein, daß man dem Gesprächspartner nie wieder im Leben begegnen werde — Dinge erzählt, die man daheim selbst seinen besten Bekannten nie anvertrauen würde.
»Mein Name ist Martin«, sagte ich, als die beiden alten Damen den Laden verlassen hatten. Fräulein Drost sah mich eine Sekunde lang überrascht an, bis sie begriff, daß ich mit dieser neuerlichen Vorstellung unsere erste Begegnung sozusagen ausradieren wollte.
»Und Sie wünschen, Herr Martin?« fragte sie höflich.
»Ich habe zur Zeit Urlaub, und ich möchte mir bei Ihnen ein paar Bücher ausleihen.«
Fräulein Drost zog eine Schublade auf und nahm aus einem Karteikasten eine grüne Karte: »Ich brauche Ihren Namen, Ihre Anschrift und Ihren Beruf. Wollen Sie mir bitte Ihren Ausweis geben.«
Ich reichte ihr meine Kennkarte — und plötzlich hob sie das Gesicht und lachte mich an: »Lassen wir doch die Albernheiten, Herr Martin. Ich glaubte nicht, daß Sie tatsächlich kommen würden. Aber da Sie nun einmal da sind, hat es doch gar keinen Zweck, so zu tim, als sähen wir uns zum erstenmal. Weshalb eigentlich? Ich habe Ihnen vielleicht mehr von mir erzählt, als man einem fremden Menschen in der ersten Stunde der Bekanntschaft zu sagen pflegt. Machen Sie es damit quitt, indem Sie mir gelegentlich etwas von sich erzählen. Gilt das?«
»Es gilt!« rief ich entflammt und meine Kühnheit kam mir selber nicht ganz geheuer vor. »Machen Sie den Laden dicht, es ist ohnehin sechs Uhr, und kommen Sie! Wir gehen in irgendeine nette Gartenwirtschaft und essen dort eine Kleinigkeit und stoßen mit einem Schöppchen auf die Erneuerung unserer Bekanntschaft an...«
»Moment mal, Herr Doktor Martin!« unterbrach sie mich und sah mich an, als mustere sie mich von einer Trittleiter herab, »jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, was ich eigentlich von Ihnen halten soll. Vor drei Minuten noch machten Sie einen Eindruck, als könnten Sie vor lauter Schüchternheit und Taktgefühl nicht piep sagen, und plötzlich verlangen Sie von mir, daß ich Ihretwegen hier alles stehen und liegen lassen soll. Ich dachte doch, Sie seien als Kunde zu mir gekommen und nicht, um mich zu Spaziergängen ins Grüne abzuholen und Schöppchen zu trinken.«
»Selbstverständlich bin ich als Kunde zu Ihnen gekommen! Aber Sie sagten doch selbst, daß Sie mir Gelegenheit geben wollten, mit Ihnen quitt zu werden.«
»Ich sagte: gelegentlich!«
»Und weshalb soll das nicht heute sein? Schauen Sie nur einmal zum Fenster hinaus, das Wetter ist prachtvoll, und man kann nie wissen, ob es anhält.«
»Es hält an. Im Wetterbericht hieß es: ein Hochdruckgebiet von den Azoren bis zum Ural mit trockenem, warmem Sommerwetter bis zu dreißig Grad...«
»Auf den Wetterbericht habe ich mich noch nie verlassen, und wenn ich es tat, bin ich noch jedesmal hereingefallen.«
Das war halb im Ernst und halb im Scherz hin und her gegangen, und ich war mir meiner Sache, heute mit Fräulein Drost im Grünen zu sitzen und mit ihr unter den Kastanien des >Grünen Baum< oder in der >Alten Linde< die Erneuerung unserer Bekanntschaft zu feiern, so sicher, daß ich bereits im Kopf einen blitzschnellen Überschlag über meinen Kassenbestand machte und beruhigt feststellte, daß wir uns sogar eine anständige Flasche leisten konnten. Um so mehr enttäuschte es mich, als sie mir plötzlich mit einer gewissen Heftigkeit im Tonfall erklärte, nein, heute ginge es nicht, sie könne nicht kommen, unter gar keinen Umständen!
»Verzeihen Sie«, bat ich bestürzt, »ich wollte Sie mit meinem
Vorschlag wahrhaftig nicht beleidigen. Nichts lag mir ferner als das! Ich glaube, Sie haben von mir ein völlig falsches Bild bekommen. Es ist sonst wirklich nicht meine Art, Damen, die ich soeben kennengelernt habe, gleich zu Spaziergängen aufzufordern. Aber nachdem ich doch wußte, daß Sie viel allein sind, dachte ich mir, es täte Ihnen gut, einmal aus dem Geschäft herauszukommen und irgendwo, wo es hübsch ist, ein wenig zu plaudern und vielleicht sogar ein Gläschen miteinander zu trinken...«
»Aber Sie haben mich ja gar nicht beleidigt!« unterbrach sie mich und mein Gestammel, »und ich wäre ja auch gern mit Ihnen ausgegangen...«
»Ja, um Himmels willen, was hindert
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