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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Sie dann, es zu tun? Etwa Ihre Frau Tante?«
    Sie schüttelte energisch den Kopf, als wäre es ein völlig abwegiger Gedanke, daß sie sich von irgend jemand der Freiheit berauben ließe.
    »Ich habe für heute abend bereits eine Verabredung getroffen«, sagte sie schließlich mit einem Ausdruck, der keinen Zweifel darüber ließ, daß die Person, mit der sie sich verabredet hatte, männlichen Geschlechts war.
    »Oh...!« machte ich betroffen und enttäuscht.
    Ich muß dabei ein Gesicht gemacht haben, als hätte ich einen Engel an einem unpassenden Ort entdeckt, denn ich bemerkte, daß Fräulein Drost mich einigermaßen abweisend musterte, als ob sie fragen wollte, was mein >Oh!< zu bedeuten hätte.
    Aber dann löste sich ihre abweisende Strenge, und sie sagte mit einem kleinen, verlegenen Schulterzucken: »Ich glaube, nun ist es soweit, daß auch Sie von mir einen ganz falschen Eindruck bekommen. Es ist nämlich sonst durchaus nicht meine Art, Einladungen von unbekannten Herren anzunehmen. Ich weiß selber nicht, wie es dazu gekommen ist. Man kommt über Bücher leicht ins Gespräch... Er war recht beschlagen... Und da ich die englische Literatur seit vielen Jahren besonders hoch schätze, war es nicht weiter verwunderlich, daß ich mit einem Engländer darüber in ein längeres Gespräch kam...«
    »Was?!« schrie ich, »mit einem Engländer?!«
    Daß es Mister Murchison sein könnte, mit dem sie sich für heute abend verabredet hatte, wäre mir nicht einmal im bösesten Traum eingefallen. Wie hätte ich es auch ahnen sollen, daß er so rasch auf sein Ziel losgehen und — was mir den ärgsten Stoß versetzte! — einen so leichten Erfolg haben würde?
    »Weshalb schreien Sie mich so an!« rief Fräulein Drost und wuchs wieder einmal hinter dem Ladentisch in die Höhe.
    »Ein Engländer, sagten Sie?« fragte ich mit normaler Lautstärke, »ein richtiger Engländer aus England?«
    »Ja, stellen Sie es sich nur vor: ein richtiger Engländer aus England!« antwortete sie pikiert, »gut erzogen, liebenswürdig, zurückhaltend, und immer ruhig — Ostern, Weihnachten und Pfingsten!«
    »Erzählen Sie mir mehr«, bat ich, »die Geschichte interessiert mich. Mich interessiert alles, was aus England kommt, englische Stoffe, englische Zigaretten, englischer Whisky und die Romane von der Agatha Christie...«
    »Wie komme ich dazu, Ihnen etwas zu erzählen?« rief Fräulein Drost störrisch und gereizt. »Neulich war es etwas anderes, da kamen Sie sozusagen in höherem Auftrag. Aber heute sind Sie als Kunde bei mir. Haben Sie sich schon etwas rum Lesen ausgesucht?«
    »Empfehlen Sie mir etwas, Fräulein Drost, oder noch besser, geben Sie mir das Buch mit, das in der letzten Zeit den stärksten Eindruck auf Sie gemacht hat.«
    Fräulein Drost runzelte die hübsche, glatte Stirn: »Ich kann mir nicht helfen, aber Sie haben auch in Ihrem Privatleben eine merkwürdige Neigung, in fremder Leute Fenster zu schauen. Aber gut, ich hole Ihnen das Buch, das mich besonders beeindruckt hat. Ich habe es allerdings meiner Tante gegeben und muß es erst holen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber holen Sie es, bitte, erst dann, wenn ich gehe. Vorher möchte ich mit Ihnen noch ein wenig plaudern. Allerdings nicht als Kunde, sondern mit dem Notizblock in der Hand und in der Ergänzung unseres Gesprächs vor drei Tagen.«
    »Ich wüßte nicht, was es da noch zu ergänzen gäbe!«
    »Erlauben Sie«, rief ich, »ein guterzogener, liebenswürdiger und zurückhaltender Engländer, der außerdem literarische Neigungen zu haben scheint, ist meiner Ansicht nach fraglos ein Faktum, durch das meine bisherigen Unterlagen sehr eindrucksvoll ergänzt werden können. Oder nicht?«
    »Sie haben nicht den geringsten Grund, ironisch zu werden!« tagte Fräulein Drost mit großer Würde. »Und außerdem haben Sie auch gar keinen Grund, so zu tun, als ob ich Ihnen Rechenschaft über meine Bekanntschaften schuldig wäre! Das möchte ich hiermit für heute und für alle Zukunft in aller Entschiedenheit feststellen!«
    »Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie sich so sehr erregen«, sagte ich böse, denn Murchisons Erfolg kränkte mich bis ins Innerste meiner Seele, »natürlich sind Sie mir keine Rechenschaft schuldig. Ich weiß genau, wie alles gekommen ist. Der Herr aus England kam zufällig an Ihrem Geschäft vorüber, und dabei besann er sich, daß er hier fremd und mutterseelenallein ist, und da wollte er sich für seinen freudlosen und einsamen

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