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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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nach.
    »Und wer ist nun wieder Willi?« fragte ich mit der letzten Kraft und dem kleinen Atemrest, der mir verblieben war.
    »Willi Schmischke, Gustavs Buchhalter. So ein ganz langer Dünner mit einer goldenen Brille. Ein furchtbar komisches altes Haus. Der Mann erzählt dir die schärfsten Witze am laufenden Band. Aber er ist die Seele vom Geschäft. Als Buchhalter und Steuerfachmann einfach ganz große Klasse!«
    »Gib mir einen Schnaps!« bat ich und fühlte, wie mir die Knie weich wurden.
    »Was hast du bloß, Hermann?« fragte Onkel Ferdinand besorgt und tränkte mich gleich aus der Pfefferminzflasche. »Du siehst ja auf einmal ganz blaß aus, mein Junge.«
    »Das habe ich manchmal in letzter Zeit«, murmelte ich.
    Es hatte nicht den geringsten Zweck, vor Onkel Ferdinand über die Art seiner Geschäftsführung bei diskreten Aufträgen auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Es war mir sonnenklar, daß die Geschichte eines Tages mit einem fürchterlichen Kladderadatsch enden würde.
    »Ich kam eigentlich wegen einer anderen Sache her. Es handelt sich wieder einmal um unseren Freund Murchison. Denk dir: er hat Fräulein Drost sofort nach meinem Bericht in ihrem Geschäft in der Kalendergasse aufgesucht und hat heute bereits ein Rendezvous mit ihr. Was sagst du zu dieser Eile?«
    »Nimm es nicht tragisch, Hermann«, sagte Onkel Ferdinand tröstend. »Such dir eine andere! Es laufen doch wahrhaftig genug Mädel auf der Welt herum, die froh wären, so einen netten flotten Jungen wie dich zu angeln...«
    »Rede doch keinen Unsinn!« fuhr ich ihn wütend an, »darum handelt es sich doch gar nicht! Mich interessiert dieses Fräulein Drost persönlich überhaupt nicht. Sie ist mir völlig gleichgültig. Mich interessiert nur eine einzige Frage: was will Murchison von ihr?«
    Onkel Ferdinand rieb sich die schwere, großporige Nase: »Was wird er schon wollen?« orakelte er. »Vielleicht will er sie heiraten. Er wird eben ein Heiratsschwindler sein oder so etwas Ähnliches...«
    »Heiratsschwindler — das ist ja völlig lächerlich! Das Mädchen ist arm wie eine Kirchenmaus!«
    »Kleines Vieh macht auch Mist«, meinte Onkel Ferdinand sinnend. »Denk nur einmal an diesen amerikanischen Heirats-Schwindler Engel, den verteufelten Herrn Engel. Mehr als vierhundert Bräute hat der Bursche abgekocht und dabei einen Reingewinn von anderthalb Millionen herausgeschlagen. Wohlgemerkt: eineinhalb Millionen Dollar! Der Umsatz macht es, Hermann! Das ist das ganze Geschäftsgeheimnis...«
    Ich hatte keine Lust, mich weiter aus dem Born speisen zu lassen, aus dem Onkel Ferdinand seine Lebensweisheiten schöpfte, aber bevor ich ihn verließ, bat ich ihn noch um einen Dienst: noch einmal ins Savoy-Hotel zu gehen und Murchisons Londoner Adresse in Erfahrung zu bringen.
    »Was willst du damit anfangen?« fragte er unbehaglich.
    »Vorläufig gar nichts, denn vorläufig habe ich keine Ahnung, was er im Schilde führt.«
    »Na schön«, murmelte er, »ich will dir den Gefallen tun, obwohl ich wahrhaftig vor Arbeit nicht weiß, wo mir der Kopf steht.«
    Ich war höflich genug, bezüglich seines Kopfes keine Vermutungen auszusprechen.
    »Komm also morgen oder übermorgen bei mir vorbei.«
    »Hoffentlich treffe ich dich dann noch an.«
    »Wie meinst du das?« fragte er.
    »Ich meine nur so...«, murmelte ich und hörte im Geiste bereits den Knall, mit dem das famose Institut Greif eines Tages aufplatzen mußte.
    Daheim angekommen packte ich das Buch, das mir Fräulein Drost mitgegeben hatte, mit einer gewissen Spannung aus seiner Umhüllung. Ich weiß nicht, was ich zu finden erwartet hatte, auf keinen Fall den Schweinslederfolianten aus dem Jahre 1765, den ich schließlich in meinen Händen hielt. Er trug den reichlich umständlichen Titel: >Die nümbergisch wohlunterrichtete Köchinn — eine Anleitung für Frauenmenscher gesunde und kranke Persohnen von Stand das Jahr hindurch mit Gesottenem und Gebrattenem zu starcken und zu erkwicken<.
    Nun, sehr originell war der Scherz mit dem Kochbuch von Fräulein Drost nicht. Von Oskar Wilde erzählt man sich die hübsche Anekdote, er habe auf die Frage, welche Bücher sein Leben am meisten beeinflußt hätten, die Antwort gegeben: das Scheckbuch meines Vaters und das Kochbuch meiner Mutter.
    Es war anzunehmen, daß Fräulein Drost diese kleine Geschichte — besonders bei ihrem Interesse für englische Literatur! — nicht unbekannt war. Aber als ich dann, durch die Jahreszahl 1765 verlockt, in dem

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