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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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interessiert.
    »Ja, jetzt kenne ich sie!« knurrte ich und wurde weiteren Fragen und Antworten glücklicherweise dadurch enthoben, daß der berühmte Gast das Dirigentenpodium. bestieg und mit dem dünnen, mattschimmernden Stab gegen das Pult klopfte.
    Mir war der Abend gründlich verdorben. Ich klatschte Beifall, wenn meine Mutter und die anderen Theaterbesucher es taten, aber die Akte gingen an mir vorüber, als ob ich plötzlich blind und taub geworden sei.
    In der großen Pause überließ ich meine Mutter ihren zahllosen Bekannten und zog mich, da die Nacht inzwischen vollends hereingebrochen war, hinter die Spiräevorhänge in der Dunkelheit der Arkaden zurück. Die prachtvolle Barockfront des Schlosses wurde während der Pause von Scheinwerfern angestrahlt. Zwischen den Anlagen und auf der breiten Auffahrtsallee vor der Freitreppe des Herzogsaales bewegten sich die festlich gekleideten Theaterbesucher.
    Ich konnte das »reizende Paar< zunächst nicht entdecken, bis ich sie schließlich inmitten einer größeren Menschenansammlung vor dem improvisierten Büfett stehen sah, wo sie irgendein Erfrischungsgetränk zu sich nahmen. Dabei merkte ich jedoch, daß Fräulein Drost Murchisons Unterhaltung nur mit halber Aufmerksamkeit folgte und jemand zu suchen schien. Und ich irrte mich wohl nicht in der Annahme, daß ihre Bemühungen mir galten.
    Ich zündete — für gewöhnlich rauchte ich oft eine ganze Woche lang nicht — die zweite Zigarette an der ersten an und trat den glühenden Rest mit einer Kraftanstrengung aus, als gelte es einen Waldbrand zu löschen. Mich erfüllte eine zornige Trauer. Ich hatte das bittere Gefühl, durch meine eigene Schuld eine Niederlage und einen unersetzlichen Verlust erlitten zu haben.
    In diesen dunklen Minuten wurde es mir klar, was ich aus Torheit bisher nicht einmal vor mir selber zugegeben hatte, daß mein Herz im Spiel war und daß ich von der ersten Begegnung an darauf gehofft hatte, die Beziehungen zu Gertrud Drost zu vertiefen. Nun, sein Erfolg zeigte mir, daß Murchison nicht nur mehr Mut, sondern auch mehr Talent für rasche Eroberungen besaß als ich. Mochte der Teufel wissen, was ihn veranlaßt hatte, sich Fräulein Drost zu nähern. Für mich war diese Dame gestorben, und mich interessierte auch der Ausgang der Geschichte nicht mehr im geringsten!
    Ich nahm meinen Platz im letzten Moment wieder ein, als sich meine Mutter schon nervös nach mir umschaute. Einmal glaubte ich, es sei das helle Oval von Gertrud Drosts Gesicht, das sich während des letzten Aktes nach mir umwandte und meinen Blick zu fangen suchte. Ich starrte wie durch ein Rohr geradeaus auf die Szene, wo vor den blühenden Büschen die verliebten Verwicklungen des hintergründigen Spiels ihren Fortgang nahmen und wo Figaro seine Arie >Ach, öffnet eure Augen, leichtgläubige dumme Männer< speziell an mich zu richten schien. Ich drängte meine Mutter, die auch noch den Schlußapplaus bis zur letzten Verbeugung des Dirigenten und der mitwirkenden Sänger genießen wollte, mit sanfter Gewalt zum Ausgang.
    Das Autotaxi, das ich schließlich spendierte, versöhnte meine Mutter mit der unbegreiflichen Eile, mit der ich aus dem Fürstengarten geflohen war. Ja, die Heimfahrt mit dem Taxi gab diesem Abend in den Augen meiner äußerst sparsamen Mutter erst den eigentlichen würdigen Abschluß, obwohl sie es nicht unterlassen konnte, zu bemerken, daß es im Grunde ein sträflicher Leichtsinn sei, drei Mark fünfzig für einen Weg auszugeben, den man ohne weiteres hätte zu Fuß zurücklegen können. Und sie vergaß nicht, hinzuzufügen, daß Onkel Ferdinands Unglück im Leben eben mit solchen verschwenderischen Droschkenfahrten begonnen habe.
    Während der Fahrt schielte sie ängstlich nach der Taxameteruhr und wollte mitten auf dem Wege, als die Ziffern unerbittlich fielen, durchaus aussteigen, um wenigstens noch ein paar Züge frischer Luft zu schnappen. Dazwischen aber fragte sie mich, wie mir die jüngste Tochter von Oberbürgermeister Dr. Vogelsang gefallen habe.
    Ich entsann mich dunkel, den Vogelsangs vorgestellt worden zu sein und dabei auch ein junges Mädchen in einem hellblauen Organdykleid gesehen zu haben, einen kleinen blonden Pummel, der die besten Aussichten hatte, die beängstigende Körperfülle seiner Frau Mama in Kürze zu erreichen und nach wenigen Jahren noch zu übertreffen.
    »Sie hat etwas mit den Drüsen, die Kleine, und ich will auch zugeben, eine Schönheit ist sie nicht«, sagte meine

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