Mein perfekter Sommer
nur nicht stolpern. »Ist hier jemand?«
Susie hat mich vorgewarnt, dass sie noch dran arbeiten würden, aber irgendwie hatte ich mir elegant verblasste Tapeten und ein paar kaputte Fliesen vorgestellt, nicht so ein … Katastrophengebiet.
»Jenna!«, von irgendwo drinnen hören ich Susies Stimme. »Rühr dich nicht vom Fleck – ich bin gleich bei dir.«
Ein argwöhnischer Blick auf den Staub und die kaputten Dielen ringsherum und ihre Worte sind für mich Gesetz, ich bleibe wie angefroren stehen, bis sie am anderen Ende des Flurs auftaucht.
»Jenna!«, ruft sie noch einmal laut, dann läuft sie auf mich zu, um mich an sich zu drücken. Ich schlinge meine Arme ganz fest um sie und wir kreischen beide wie kleine Kinder. Wir sind fast gleich groß, doch sie schafft es trotzdem, mich von allen Seiten warm und mütterlich abzuküssen. »Gott, wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen? Seit diesem Weihnachtsfest damals, stimmt’s? Und nun schau sich das einer an, so groß und erwachsen!«
Sie hält mich auf Armeslänge, damit sie mich mustern
kann und glücklich mustere ich zurück. Verschwunden sind das glatte, glänzende Haar und die Lackstiefel, in denen ich sie letztes Mal mit klackenden Absätzen durch die Straßen von Manhattan gehen sah. An ihrer Stelle haben wir jetzt wirre blonde Locken, die von einem quietschgrünen Tuch zusammengehalten werden, ein mit Farbflecken übersätes Männerhemd zu Jeans und einem Paar arg mitgenommener Turnschuhe.
Sie bemerkt meinen Blick und lacht. »Keine Sorge, das heißt nur, dass ich mich jetzt in der Küche auskenne. Komm, du musst ja am Verhungern sein, Fiona hat gesagt, der Bus hatte Stunden Verspätung.«
Ich stelle das nicht richtig, sondern lasse mich von ihr quer durchs Haus in einen Raum mit vier festen Wänden ziehen, in dem mir leckerer Käseduft entgegenweht. Mir muss anzusehen sein, dass ich am Verhungern bin, Susie sagt nämlich kein Wort mehr, bevor ich nicht auf einem Stuhl sitze und sie mir einen riesigen Teller Pasta serviert hat. »Du bist doch immer noch Vegetarierin?«
Ich nicke, den Mund hab ich schon voll.
»Adam bringt dein Gepäck rein, wenn er zurückkommt, keine Sorge. Wie du sehen kannst, hat das hier noch nicht den letzten Schliff bekommen.« Susie schaut mich ein wenig ängstlich an. »Und das heißt, dass du fürs Erste das Zimmer mit Fiona teilen musst. Aber nur, bis wir das nächste Zimmer fertig haben«, fügt sie schnell hinzu.
Ich nicke wieder, weniger enthusiastisch, das muss ich zugeben.
»Ich bin ja so froh, dass du hier bist.« Susie strahlt mich wieder an. »Ich hab dich ja so vermisst, Mädchen.«
Ich schlucke. »Ich auch, ich hab dich auch vermisst, mein ich. Und ich will dir auch danken, dass ich bei dir wohnen kann und alles. Ich werd dir keinen Ärger machen«, versichere ich ihr. Müsste ich zwischen Großmutters Luxusappartement und dieser Baustelle wählen, würde ich mich immer noch für Stillwater entscheiden.
Susie guckt mich belustigt an. »Du? Ärger? Mädchen, du hast doch immer dafür gesorgt, dass ich nicht aus der Reihe tanze. Erzähl mir jetzt nicht, dass du beschlossen hast, zum aufmüpfigen Teenager zu werden.«
In diesem Augenblick schlurft Fiona in den Raum und fläzt sich an den Tisch. Erwartungsvoll schaut sie Susie an, die zu meinem Erstaunen zum Herd geht und einen Teller mit Essen füllt, den sie Fiona vorsetzt, als wäre sie die Königin. Ich blinzele. Fiona murmelt noch nicht einmal einen Dank, sie nimmt nur ein ziemlich ramponiertes Buch zur Hand und fängt an zu lesen, sie ignoriert uns völlig, während sie in ihrem Essen herumstochert. Ich schiele auf den Titel. Die Glasglocke .
Wenn das nicht Laune macht.
»Also, dies Haus ist ja ziemlich groß«, sage ich zu Susie, die sich eine Tasse Kaffee einschenkt. Wenn Fiona nicht noch einen Haufen (Gottogott, hoffentlich besser gelaunter) Geschwister hat, finde ich es ziemlich seltsam, dass sie in so einem riesigen Kasten herumklappern.
»Hab ich das nicht erzählt? Wir eröffnen eine Pension«,
erklärt Susie sichtlich begeistert. »Die erste in Stillwater!«
»Wow.« Ich blinzele und versuche mir dieses Haus bewohnbar vorzustellen und dann noch als Touristenattraktion. »Das ist ein großes Projekt.«
»Hm.« Sie nimmt einen Schluck aus dem Becher. »Aber bald ist alles fertig und die Lage ist einfach perfekt …« Susie seufzt zufrieden, so als würde sie gar nicht zwischen Sägespänen und Gefahrenquellen sitzen. Andererseits
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