Mein perfekter Sommer
Buch, das du beim Essen gelesen hast, das von …?« Ich hab ein kleines Blackout, nur für ein paar Sekunden, aber das reicht Fiona schon, mit vernichtendem Blick vollendet sie meinen Satz.
»Sylvia Plath. Du weißt doch wohl, wer das ist, oder?«
»Ja.« Ich will gar nicht erst so tun, als wollte ich mich verteidigen. »Sie hat auch Gedichte geschrieben. Hat sie sich dann nicht irgendwann umgebracht?«
»Genau. Die undankbare literarische Öffentlichkeit hat sie in den Tod getrieben.«
Wunderbar. »Aha.« Ich versuche, ein anderes, weniger deprimierendes Thema anzuschneiden. »Hast du diesen Sommer irgendwas vor?«
»Schön wär’s.« Fiona tritt gegen einen Baumstumpf. Gegen ihre klobigen Doc Martens hat der Baum, glaube ich,
keine Chance. »Dana ist in Calgary, Nina ist mit ihren Eltern verreist. Alle sind weg, nur ich sitz zu Hause fest … mit Dad und Susie.« Beim letzten Wort verzieht sie die Stimme so komisch.
»So ein Stieffamiliending kann ganz schön schwer sein.« Ich zeige ein bisschen Mitgefühl. »Wahrscheinlich ist es nicht so leicht, sich an jemand Neuen zu gewöhnen.«
»Was verstehst du denn davon?«, blafft sie mit finsterer Miene. »Sind deine Eltern geschieden?«
Ich schlucke. Die Millionenfrage steht zwischen uns wie ein Fremdkörper, aber ich bring es nicht fertig, darüber nachzudenken – oder mich diesem unversöhnlichen Gör anzuvertrauen.
»Gut«, gestehe ich ein, »vielleicht weiß ich nicht genau, was du durchmachst. Aber ich kenne Susie, und ich weiß, dass sie klasse ist.«
»Klasse?« Fiona schnaubt mal wieder. »Die ist die totale Zicke und mischt sich in alles ein. Hast du sie gesehen beim Essen? Hackt auf mir rum, als ob sie das Recht dazu hätte. Sie hat alles kaputt gemacht. Dad und mir ging es echt gut, ehe sie reingeschneit ist.«
Ich hab nicht übel Lust, Susie zu verteidigen, aber irgendwie hab ich den Eindruck, das würde mein Projekt gefährden, mich mit Fiona anzufreunden. Ich schlucke meine Antwort also runter und folge ihr weiter durch den Wald. Vor uns seh ich Tageslicht, der dichte Wald scheint hier zu enden, aber bevor wir zwischen den Bäumen heraus sind, dreht Fiona sich ein letztes Mal zu mir um.
»Und dass wir beste Freundinnen werden oder dass du einen guten Einfluss auf mich haben könntest oder was die alte Zicke sonst geplant haben mag, kannst du total knicken. Dich will ich nämlich auch nicht hier haben.« Und damit schiebt sie den letzten Ast beiseite und geht mit großen Schritten davon.
6. Kapitel
Noch zwischen den Bäumen verborgen bleibe ich einen Moment stehen. Vor mir liegt eine kleine Lichtung mit einem See, ein Streifen zertretenes Gras zieht sich bis hinunter zu einem schmalen, steinigen Strand, über mir ragen riesige Fichten auf. Es ist einfach atemberaubend, aber ausnahmsweise ist Natur das Letzte, woran ich denke. Weiter oben am Ufer sehe ich eine Handvoll Kids auf einer Art Picknickplatz abhängen. Die wirken alle ziemlich jung, die Jungs werfen sich einen Baseball zu, ein paar Mädchen hocken über eine Zeitschrift gebeugt auf einer Bank, aber Fiona schlurft wortlos an ihnen vorbei zu einer Feuerstelle, vor der die älteren Jungs aus dem Eisenwarenladen herumliegen.
Ist das die Szene von Stillwater?
Mein Magen spielt verrückt vor Nervosität. Über so viele Dinge mach ich mir Sorgen, aber Freunde finden hatte ich nicht auf der Liste, schließlich verbringt man nicht Wochenende für Wochenende im Einkaufszentrum damit, Kunden von Nachhaltigkeit und Recycling zu überzeugen, ohne sich
die Fähigkeit zu erwerben, ganz entspannt mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Aber jetzt, als ich begreife, wie klein diese Stadt wirklich ist, kann ich nur in Panik geraten. Mal angenommen, ich schaff es nicht, diesen peinlichen ersten Eindruck abzuschütteln. Bin ich dann dazu verdammt, den Rest des Sommers allein zu verbringen, mit nichts als Fionas bissigen Kommentaren zur Gesellschaft?
Ich hole tief Luft, nehme mich zusammen und gehe auf die Gruppe zu. Fiona hat sich mit ihrem Buch ans Wasser gesetzt, mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich selbst vorzustellen.
»Hallo, Jungs«, sage ich fröhlich, als ich ihren kleinen Kreis erreicht habe. Meine Stimme klingt fast schon zu munter an diesem schattigen Ort, aber ich leg noch ein Lächeln von Ohr zu Ohr drauf und mach weiter. »Ethan, richtig? Und äh … «, ich verstumme und warte darauf, dass sie sich vorstellen. Sie tun’s nicht. »Ich bin Jenna«, sage ich
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