Mein perfekter Sommer
Freund Kris habe ihm erzählt, sein Cousin würde so eine Reise quer durchs Land als freiwilliger Helfer machen und auf Farmen und Kooperativen arbeiten und so Sachen, und er – also Cash nicht der Cousin von Kris – könnte sich das auch vorstellen, entweder hier oder in Kanada. Kanada! Verstehst du?« Erwartungsvoll strahlt sie mich an. »Ich bin echt ein Genie.«
»Öh …« Ich versteh das nicht. Überhaupt nicht.
»Kanada!«, schmettert sie wieder, dieses Mal mit so einem kapierst-du-denn-gar-nichts-Unterton. »Hast du nicht erzählt, dass deine Patentante Susie da hochgezogen ist?«
Ich schnappe nach Luft. »Susie!«
»Genau.«
Susie, alias Moms wilde Zimmergenossin vom College, hat so ungefähr die letzten zwanzig Jahre damit verbracht, in Las Vegas die Black Jack-Karten auszuteilen/als Burlesktänzerin in Atlantic City aufzutreten/die Welt mit nichts weiter als einem Handtäschchen und drei Packungen Oreos
zu bereisen. Bis vor sechs Monaten, da stieß sie in British Columbia auf einen attraktiven Waldarbeiter und beschloss zu heiraten und sich im Einklang mit der Wildnis häuslich niederzulassen.
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich Olivia an, ein Licht erscheint am Horizont, der Chor der Engel ertönt und der grausige Albtraum, in dem ich zur Bridgekönigin der Seniorenresidenz von Hunter Creek gekrönt werde, löst sich in seliges Wohlgefallen auf.
Mit anderen Worten: Ich bin gerettet.
4. Kapitel
»Und die Berge sind irgendwie so gräulich lila. Auf einigen liegt immer noch Schnee.« Ich drücke die Stirn an das kühle Glas, während ich ehrfürchtig die sich um mich erhebende Kulisse betrachte. Zwei Wochen sind vergangen, ich hab mich auf den Rücksitz eines Greyhoundbusses gequetscht, der sich auf der Straße durch die Rocky Mountains schlängelt. Meine Eltern meinten es ernst mit unseren Plänen für den Sommer: Nur zwei Tage nach Ferienbeginn packte Mom ihr Auto mit Koffern voll und machte sich auf den Weg nach Florida, Dad nahm indessen ein Taxi zum Flughafen – beide schwören, dass dies nichts weiter als eine andere Art ist, den Sommer zu verbringen. Ich weiß immer noch nicht, ob ich ihnen glauben soll, aber als das Flugzeug seine Reisehöhe erreicht und ich es mir mit Salzbrezeln vor dem Film gemütlich gemacht hatte, hab ich mir etwas geschworen. Dieses Mal grübele ich nicht ständig über sämtliche Furcht einflößenden Eventualitäten nach, die ich ja doch nicht beeinflussen kann. Gedanken an meine Eltern und das gefürchtete Sch-Wort werden in die hinterste Ecke meines
Bewusstseins verbannt – da bleiben sie für den Rest des Sommers.
»Mensch, hast du ein Glück.« Am anderen Ende der knisternden Telefonverbindung höre ich Olivia sehnsüchtig seufzen. »Wie fühlst du dich?«
»Irgendwie müde«, gestehe ich. »Der Flug hat sechs Stunden gedauert, dann bin ich sofort in diesen Bus gestiegen …«
»Die Wildnis hat ja was Unbequemes«, pflichtet Olivia mir bei.
»Aber ich bin auch aufgeregt«, ergänze ich und blinzele hinaus in die überwältigende Landschaft aus Fels und Wald, einzelne Orientierungspunkte verwischen zwischen Gipfeln und Bergkämmen. Es ist ein surreales Gefühl, ihre Stimme hier draußen noch zu hören, mir kommt es vor, als würde ich feststecken an einem seltsamen Ort zwischen vertrautem Geplauder und der fremden Umgebung, die von Wolken und Nebel verhüllt ist. Ich kuschele mich tiefer in mein Sweatshirt. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir das durchgekriegt haben. Dafür werde ich ewig in deiner Schuld stehen.«
»Hm, hast recht, das wirst du.« Olivia lacht. »Aber hättest du mich nicht in deinen riesigen Koffer packen können? Der Smog hätte mich fast gekillt, als ich heute zum Bewerbungsgespräch in der Stadt war.«
»Augenblick mal. Was für ein Bewerbungsgespräch?«
»Okay, ich wollte nichts sagen, hätte ja sein können, dass es nicht klappt«, vertraut sie mir fröhlich an, »aber Cash hat da so eine echt fantastische Sache gefunden. In Upstate New
York gibt es so eine Kommune, wo Seminare abgehalten werden zu Nachhaltigkeit und Umweltthemen und allen möglichen anderen Sachen, und es hat sich herausgestellt, dass sie da Betreuer und Arbeitskräfte einstellen! Wenn es klappt, bleiben wir den ganzen Sommer da und besuchen all die Veranstaltungen und so – kostenlos.«
»Das ist ja toll!« Ich muss zugeben, ich hab mich irgendwie nicht gut dabei gefühlt, sie für den ganzen Sommer in Fairview ihrem Schicksal
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