Mein russisches Abenteuer
bin Ethnologin.«
Der Parkdirektor erwartete uns in seinem Büro, ein breit gebauter
Mann um die fünfzig. »Wir haben einen kleinen Imbiss für Sie vorbereitet«, sagte
er, als wir uns die Hände schüttelten. Ein aufgeklappter Campingtisch bog sich
unter Fleischpasteten, Teigtaschen, Räucherfisch und Wodkaflaschen.
»Danke, ich trinke nichts.«
Der Direktor goss mein Glas voll.
»Danke, wirklich nicht.«
Er schob das Glas in meine Richtung.
»Nein!«
»Auf die Völkerfreundschaft!«
Ich schob das Glas weg. Aus irgendeinem Grund war ich plötzlich
entschlossen, dieses eine Mal nicht klein beizugeben. Aber es war sinnlos. Der
Direktor spielte das gesamte Nötigungsprogramm durch: bittend, flehend,
verständnislos, enttäuscht, gekränkt …
Ich nahm einen winzigen Höflichkeitsschluck.
»Austrinken!«
Nach einer Viertelstunde war mein letzter Widerstand gebrochen.
Trinkspruch für Trinkspruch verlor ich die Kontrolle. Ich gab den Tag verloren.
Zu dritt leerten wir eine, dann die zweite Flasche, der Direktor, die
Ethnologin und ich. Nur unser Chauffeur saß still am Tisch und trank Limonade,
wofür ich ihn insgeheim bewunderte.
Als ich nach Mischa fragte, dem Bären, spreizte ein Grinsen das
Gesicht des Direktors. »Er ist Alkoholiker.«
Ich verschluckte mich an einem Stück Räucherfisch.
»Die Parkbesucher sind schuld«, sagte der Direktor. »Sie machen sich
einen Spaß daraus, den Bären Wodka in die Futterrinne zu schütten. Mascha rührt
das Zeug nicht an, Mischa besäuft sich. An Feiertagen, wenn die halbe Stadt in
den Park fährt, torkelt er abends nur noch im Kreis.«
Ich hustete hilflos.
»Manchmal ist es so schlimm«, fuhr der Direktor fort, »dass wir
Mischa am nächsten Morgen wieder Wodka geben müssen. Weil er so verkatert ist.«
Ungläubig starrte ich ihn an. »Sie erzählen mir Märchen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wenn ich das in meinem Buch erzähle, glaubt mir in Deutschland kein
Mensch.«
»Was für ein Buch?
Ich erzählte es ihm. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Von
Agafja, von meiner Reise, von der fehlgeschlagenen Fahrt in die Taiga. Als ich
bei Mischa angekommen war, dem betrunkenen Bootsfahrer, lehnte sich plötzlich
unser Chauffeur über den Tisch, der bis dahin stumm das Gespräch verfolgt hatte.
»Das kenne ich«, sagte er. »Ich habe früher einen Lastwagen
gefahren, für eine Spedition. Manchmal mussten wir quer durchs Altai-Gebirge,
über ungesicherte Straßen, die direkt am Abhang entlangführen. Das hätte ich
nüchtern nicht überlebt! Man muss die Angst wegtrinken!«
Meine Bewunderung für ihn löste sich in Luft auf.
»Auf unsere heldenhaften Spediteure!«, krähte der Direktor.
Ich erzählte weiter, vom Ende der Bootsfahrt, von meiner zweiten
Reise, von den Versprechungen des Lokalpolitikers, die sich zerschlagen hatten.
Gegen Ende der Erzählung muss ich ziemlich verzweifelt geklungen haben – der
Alkohol machte sich bemerkbar.
»Sie müssen sich beschweren«, sagte der Parkdirektor ernst. »Man hat
Ihnen Versprechungen gemacht. Sie sind nicht irgendjemand, Sie sind ein
ausländischer Bürger, die Regierung muss Ihnen einen Hubschrauber stellen.
Rufen Sie das Außenministerium an! Nein, wenden Sie sich direkt an den
Präsidenten!«
Auf der Rückfahrt schlief ich sofort ein. Als ich kurz vor der
Stadtgrenze mit Kopfschmerzen aufwachte, war meine Stimmung auf dem Nullpunkt.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass nicht nur die Zeit gegen mich arbeitete,
sondern ganz Russland. Niemals vorher und niemals danach spürte ich eine
derartige Abneigung gegen die Russen wie an jenem verkaterten Nachmittag im
Auto. Sie waren das unsympathischste Volk der Welt. Ich hasste ihre haltlosen
Versprechungen, ich hasste ihre bevormundende Gastfreundschaft, ich hasste ihre
Sauferei, ich hasste ihren Kinderglauben an die Macht der Machthaber.
Die Geheimnisse russischer Frauen
Abends setzte ich mich verkatert in einen Nachtzug nach
Krasnojarsk. Ohne genau zu wissen, was ich mir davon versprach, hatte ich mich
mit Galina Alexandrowna verabredet, der Linguistin, die mich mit San Sanytsch
in Kontakt gebracht hatte. Seit dem Fiasko in der Taiga hatten wir nicht mehr
miteinander gesprochen. Ich wusste nicht, ob sie inzwischen auf anderem Wege
erfahren hatte, was geschehen war – und wenn ja, ob San Sanytsch ihr die
Wahrheit erzählt hatte.
Am nächsten Tag besuchte ich sie in ihrem Büro im Literaturmuseum.
Ich hatte mich kaum gesetzt, als Galina fragte, ob
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