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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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in der Taiga alles »korrekt«
gelaufen sei. Es klang, als mache sie sich Vorwürfe. Offenbar hatte sie mit San
Sanytsch gesprochen und sich ihren Teil gedacht.
    Ich erzählte. Am Anfang drückte ich mich vorsichtig aus, weil Galina
ihr Büro mit einer Kollegin teilte. Sehr bald aber begannen beide Frauen, mich
mit schockierten Nachfragen zum Weitererzählen zu drängen. Als ich schließlich
die komplette Geschichte ausgepackt hatte, herrschte einen Moment lang
betretenes Schweigen. Entgeistert schüttelte Galina den Kopf. »Mir hat San
Sanytsch immer gesagt, dass er nicht trinkt.«
    »Mir auch«, sagte ich.
    Olga, Galinas Kollegin, lachte trocken. »Das behaupten alle Trinker.«
    »Ich hätte mitkommen sollen.« Galina stand auf, schaltete den
Wasserkocher ein und hängte frische Teebeutel in unsere Tassen. »In Gegenwart
einer Frau hätten sich die beiden nicht betrunken.«
    Olga schüttelte den Kopf. »Immer die gleiche Geschichte. Kaum sind
Männer unter sich …«
    »Wenn San Sanytschs Frau dabei gewesen wäre, hätte er sich
zusammengerissen.« Galina seufzte. Es klang, als beschäftige sie jetzt etwas,
das nur noch entfernt mit meiner Erzählung zusammenhing. »Wissen Sie«, sagte
sie, »in Russland sind es immer die Männer, die zerbrechen. Sie kommen
schlechter mit den Härten des Lebens zurecht, ich weiß auch nicht, woran es
liegt.«
    Olga nickte. »Es sind immer die Männer. Immer.«
    »Sie fangen an zu trinken, sie lassen ihre Familien im Stich, sie
geben sich auf.«
    »Die ganze Last bleibt an den Frauen hängen.«
    Stumm trank ich meinen Tee, während Galina und Olga weitersprachen.
Ihr Dialog entfernte sich immer weiter von seinem Ausgangspunkt. Sie erzählten
von gestrauchelten Männern, von zerbrochenen Familien, von russischen Frauen,
denen nichts anderes übrig blieb, als die Schwächen ihrer Männer durch eigene
Stärke auszugleichen. Ich hörte zu, mit dem seltsamen Gefühl, dass meine
Anwesenheit diesen Dialog ausgelöst hatte, ohne dass ich wieter etwas zu ihm
beitragen konnte. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh, kein
russischer Mann zu sein.
    Der Nachmittag verging. Kurz vor Büroschluss geriet das Museum in
Bewegung, draußen auf dem Flur waren Schritte und Abschiedsgrüße zu hören.
Galina suchte meinen Blick, als erinnere sie sich plötzlich an den Grund meines
Besuchs. »Sie wollen es noch einmal versuchen?«
    »Ja.«
    Sie nickte stumm. Als ich begriff, worauf sie hinauswollte, kam ich
ihr entgegen. »Vielleicht«, sagte ich, »wäre es leichter, wenn eine Frau dabei
wäre.«
    Galina lächelte. »Damit sich niemand betrinkt.«
    Olga lächelte ebenfalls. »Weibliche Gesellschaft diszipliniert.«
    »Oder zwei Frauen.«
     
    Am nächsten Tag kontaktierten wir die Umweltbehörde der
Republik Chakassien. Statt uns auf die Wunderwährung Spirt zu verlassen,
wollten wir eine offizielle Genehmigung für das Naturschutzgebiet beantragen.
Wir hatten Glück: Ein enthusiastischer Beamter stellte uns nicht nur
Passierscheine in Aussicht, er bot spontan an, eine Expedition für uns zu organisieren.
Überschwänglich versprach er uns einen Taiga-Führer und ein Boot. Wir wähnten
uns schon fast am Ziel. Dann erkrankte der Passierscheinbeauftragte; sein
Stellvertreter war auf der Datscha; der Führer war nicht auffindbar; das Boot
hatte einen Motorschaden; das Ersatzteil des japanischen Herstellers hing im
Zoll fest; kurz, die Dinge gingen ihren üblichen russischen Gang.
    Gut drei Wochen später aber versammelte sich in Abasa, am Ufer des
Abakan, eine ungewöhnliche Reisegesellschaft: ein Forstinspektor des
Naturschutzgebiets Chakassien, ein Bootsfahrer aus Abasa, eine Linguistin und
eine Literaturwissenschaftlerin aus Krasnojarsk, ein Journalist aus
Deutschland.
    Während wir unser Gepäck ins Boot hievten, versuchte ich zu erraten,
was unsere beiden Führer von ihren untypischen Passagieren hielten. Beide
Männer waren kräftige, wortkarge, schnörkellose Sibirier. Igor, der
Bootsfahrer, war Anfang vierzig, Ljonja, der Forstinspektor, ein bisschen
älter. Beide lächelten schief, als Olga ihnen beim Packen von einem
experimentellen Dokumentarfilm über den russischen Wald vorschwärmte. »Den
müsst ihr euch einfach ansehen! Er zeigt das wahre Sibirien!«
    Trotzdem schien, als wir losfuhren, der weibliche Geheimplan meiner
Begleiterinnen aufzugehen. Die Atmosphäre war eine völlig andere als bei der
letzten Fahrt. Niemand fluchte. Niemand trank. Konzentriert steuerte

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