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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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sich verändert.«
    Der Satz verfängt sich.
    Vielleicht muss ich wirklich einmal hinschauen. Nicht immer in der Welt herumschauen, sondern hinschauen, denkt Max.
    Walther lässt die Säge aus an dem Tag. Er würde gerne ein bisschen in Kontakt kommen, mit dieser Wesenheit von Max. Energie austauschen mit mir. Aber die Wesenheit ist bockig, er spürt es, und möchte sich ihm nicht zeigen.
    Irgendwann gibt Walther auf und brummelt in seinen Bart: » Da haben sich ja die zwei Richtigen gefunden.«

18.
    Die meisten Menschen brechen nur deshalb nicht zusammen, weil sie den Schmerz sonst nicht ertragen würden.
    Tom ruft an, um sich wegen seines schmerzenden Rückens zu erkundigen, ob Max eigentlich noch dieses Feldenkrais-Zeugs machen würde. Max reagiert, als hätte man ihn bei einem Seitensprung ertappt. Natürlich würde er noch zu Charlotte gehen! Nichts anderes als Feldenkrais hätte ihm über die letzten Jahre geholfen. Tom müsse das unbedingt ausprobieren.
    » Feldenkrais ist …«
    » Spitze«, schlägt Tom vor.
    Sie kichern.
    Unmittelbar nachdem er aufgelegt hat, ruft Max selbst bei Charlotte an und vereinbart einen Termin. Als Entschuldigung für sein Schweigen gibt er den Aufenthalt in der Spezialklinik an, obwohl der nun schon fünf Monate zurückliegt.
    Es war nicht die ganze Wahrheit, als er zu Tom sagte, nur Feldenkrais hätte ihm geholfen. Nicht falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Seine Lehrerin ist es, nicht irgendeine, sondern eben die unweit der Isar, ihre dunkelblaue Liege, ihr Garten vor dem Fenster, begrenzt von den in ewigem Schatten liegenden Mauern. Er darf nicht sagen: Feldenkrais hilft mir. Eigentlich muss er künftig die ganze Geschichte erzählen.
    Charlotte ist die Einzige, mit der er bislang völlig aufrichtig über seine Krankheit gesprochen hat. Vieles hat er nur ihr erzählt in den letzten Jahren.
    Ihm tat gut, dass die Stunden immer gleich abliefen. Er klingelte, der Türöffner surrte. Charlotte war noch mit einem anderen Klienten beschäftigt. Im Flur zog er sich die Schuhe aus. Blätterte in dem leinenen Rilke-Gedichtband oder alten Psychologiezeitschriften. Währenddessen bereitete er sich auf ihre Frage nach seinem Wohlergehen vor. Ein paar Minuten später segelte sie aus dem Behandlungsraum, ergriff mit beiden Händen seine. Jedes Mal freuten sie sich so übereinander, als wäre er der nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrte Sohn.
    Von der Liege hatte er den Blick auf den ihm in allen Jahreszeiten vertrauten Garten. Sie nahm Max Brille, Stock und irgendwann die Krücken ab und setzte sich ihm gegenüber auf einen Hocker. Genau dann erkundigte sie sich, wie es ihm ginge. – Er antwortete selten das, was er beim Warten vorbereitet hatte, sondern das, was ihn gerade am meisten bedrückte. Sie hörte sich alles an. Das reichte schon.
    Nach ein paar Minuten forderte sie ihn auf, sich hinzulegen, und begann mit der Behandlung. Nahm einen Fuß, ließ ihn kreisen, beugte das Bein, drückte an seinen Hüften herum, zog seine Arme nach oben … Er musste nichts tun, außer zu spüren, wie alles in seinem Körper miteinander zusammenhängt. Eine Bewegung des kleinen Zehs noch in der Wirbelsäule spürbar ist. Nach einer Dreiviertelstunde forderte sie ihn auf, sich hinzustellen und ein paar Schritte zu gehen. Meist war dann ein kleines Wunder geschehen, jedes Mal ein anderes: Mal fühlte er sich so leicht wie noch nie, mal konnte er einen Fuß höher heben als sonst, mal war er einen Kopf größer. Einen halben Tag später ließ das Gefühl nach und verschwand schließlich. Aber die Erinnerung daran hielt ihn selbst dann noch aufrecht, wenn seine Wirbelsäule es nicht mehr tat.
    Wie konnte er Charlotte nur betrügen?
    Kaum liegt Max wieder auf ihrer Liege, sprudelt das Geständnis aus ihm heraus. Er erzählt ihr von den zähen Tagen im Krankenhaus. Dabei untertreibt er, wie schlecht es ihm vor dem Aufenthalt ging, und übertreibt, wie schlecht es ihm nachher ging.
    Sie hebt seinen Kopf eine Handbreit hoch und lässt ihn kreisen wie bei einer Marionette. Max plappert weiter, erzählt von Walther und seiner Säge. Von dessen blutender Nase.
    » Und wie ist es Ihnen damit ergangen?«
    Max übergeht die Frage und kommt zum wesentlichen Teil seiner Beichte.
    » Und dann war ich bei einem Handaufleger. Der hat lauter Zeugs geredet, das ich nicht verstanden habe. Über Quantenmechanik und Gnade. Da ist mir Ihre Mechanik irgendwie nachvollziehbarer.«
    » Werden Sie noch

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