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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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dies im Augenblick ernsthaft stören würde.
    » Sie müssen in Ihren Körper zurückfinden«, sagt Karl.
    Max wartet auf eine Gebrauchsanleitung, irgendeine Anweisung, wie das vonstatten gehen soll. Doch Karl drückt nur weiter, nun schweigend, an ihm herum.
    Plötzlich beginnt er, über Quantenmechanik zu sprechen. Der Themenwechsel überfordert Max: Was soll die mit der Versöhnung von Körper und Geist zu tun haben?
    Karl legt eine Hand auf Max’ Herz und fuhrwerkt mit der anderen hinter seinem Kopf herum. Auch das fühlt sich gut an, ihm fällt keine andere Beschreibung ein. Nun hat er kein Bedürfnis mehr, etwas zu verstehen.
    Nach einer weiteren, noch längeren Pause sagt Karl: » Heilung gibt es nicht ohne Gnade. Das meine ich nicht religiös, eher in einem Zustand der Gnade, man könnte auch sagen: ein Quantenzustand, in den man springt.«
    Für Max ist » Gnade« ein schwieriges Wort, vielleicht eines der schwierigsten überhaupt: und ganz außer Mode. Ohne Grinsen könnte er es nicht aussprechen. Das verwenden doch nur noch raufende Kinder auf dem Pausenhof oder Menschen mit Pistolenläufen an der Schläfe im Krimi. Nach einem langen Schweigen sagt er: » Ich mag nicht bei jemandem betteln müssen. Auch nicht um Gesundheit.«
    Karl antwortet nicht, sondern drückt weiter an ihm herum.
    Auf einmal hat Max den Eindruck, in dem Raum wäre ein Licht angeschaltet worden. Er blinzelt, aber die Deckenlampe ist aus. Karl räuspert sich und sagt: » Jedes Heilen geht vom Herzen aus, sonst ist es ein reines Applizieren von Technik.«
    Ohne das schlechte Gewissen wegen des Unsinns, den er vorher über das Verhältnis zu seinem Körper verzapft hat, würde Max diese Aussage nicht widerspruchslos schlucken und mit nach Hause tragen. So aber tut er es.
    Als du schwankend auf die Krücken gestützt das Taxi herbeisehnst, ist ein Schimmer um dich. Ein schwaches, durchscheinendes Leuchten. So etwas sieht man selten bei Menschen. Es steht sogar noch ein wenig in der Luft, nachdem du eingestiegen bist. Dann bläst ein Windstoß es weg.
    Zum ersten Mal hast du von dir aus etwas zugelassen, etwas angenommen. Dich jemandem geöffnet, ohne hintenrum wieder alles in Frage zu stellen. Für mich bedeutet das wohl mehr Freizeit. Ich muss nicht dauernd unmittelbar hinter dir sein und kann mich ein wenig zurücklehnen. Hoffe ich jedenfalls.
    Max betet seit seinem Erlebnis in der Kapelle des Krankenhauses jeden Abend. (Obwohl er nur ein einziges Mal im Sonntagsgottesdienst war …) Zunächst nur das Vaterunser. Nach ein paar Wochen wurde es allmählich geschmeidiger und zerfiel ihm nicht dauernd im Mund. Eines Tages jedoch reichte es nicht mehr. Er brauchte mehr Platz, um seine eigenen Belange in dem Gebet unterbringen zu können. Also ließ er seinen Tag Revue passieren und bedankte sich für die schönen Momente.
    Heute ist selbst das zu wenig. Heute möchte er, im Bett liegend, die ganze Welt umarmen.
    Also betet er für alle Menschen, denen er im Laufe des Tages begegnet ist. Es macht ihm Spaß, dass sie davon nie erfahren werden. Es hat etwas Verbotenes, etwas Lustvolles wie verborgene Zärtlichkeiten.
    Max betet:
    Für den DHL -Boten. Der mir jedes Mal erzählt, dass sein Bruder auch Gicht hätte.
    Für die griechischstämmige Tengelmann-Verkäuferin, die mir jedes Mal eine Sonderbehandlung zukommen lässt. Nur mir öffnet sie die Plastiktüte, bläst sie sogar auf. Oder legt einen Karton unter den Bon beim Unterschreiben.
    Ganz schön sülzig! … Und es ist ja keineswegs so, dass du mit dem Tengelmann-Drachen befreundet wärst. Mehr als ein abgehacktes » Grüß Gott« bringst du in ihrer Anwesenheit nicht heraus und versuchst schnellstmöglich, deine EC -Karte herauszufummeln, um ihre Gunst nicht zu verlieren. Aber ich will nichts gesagt haben.
    Für Claudia, die beim Mittagessen meinte: » Ich verstehe immer noch nicht, warum du noch nicht in einem Pflegeheim bist, sondern alleine wohnst.« Denn sie weiß nicht, was sie mit solchen Bemerkungen anrichtet.
    Für das kleine Mädchen und ihre Mutter, vor allem ihre Mutter. Und mach, dass sie ihre Tochter nicht wegzieht, wenn diese völlig fasziniert einen Rollstuhl anfassen möchte.
    Für die Nachbarin, die so ertappt schaute, als sie merkte, dass ich hinter dem Fenster stand und beobachtete, wie sie sich eine Zigarette anzündete.
    Für Tom, gerade für den. Nimm ihm bitte ein paar Sorgen ab. Das Leben ist auch ohne die schon nicht so einfach.
    Und besonders für Karl – und

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