Mein schwacher Wille geschehe
Berufszweigs, der sich in den Dienst der Neudefinition des Dickseins gestellt hat. Niemand soll sich verstecken müssen und keine Rundung bedarf noch länger einer schamhaften Kaschierung. Die Hüfthose bringt allerhand zum Vorschein. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Alles eine Frage der Einstellung. Oder wenigstens fast. Es bleibt den Dicken etwas, das sie von den meisten unterscheidet. Niemand weiß das besser als die Schauspieler, die manchmal schon aus körperlichen Gründen nicht im Stande sind, voll und ganz in einer Rolle aufzugehen. Wandlungsfähigkeit ist nicht alles. Hamlet kann man sich in diesem oder jenem Gewand vorstellen, mit 130 Kilo aber eher nicht. Es gibt seit jeher Erscheinungen, die man nicht nur ob ihres markanten Antlitzes, sondern auch an der Statur wiederzuerkennen vermag. Das schränkt ein und eröffnet zugleich Chancen. Körperfülle kann ein Markenzeichen sein, aber darüber hinaus kommt es darauf an, nicht allein auf Sinnlichkeit und Gutmütigkeit festgelegt zu werden. Es ist halt ein altes Spiel von Mäusen und Menschen, den Dicken und dem Gefühl. Und so war zuletzt wiederholt die Brechung des Rollenklischees zu beobachten. Mitunter steht eine ganze Fernsehserie im Zeichen des »Dicken«, der mehr ist als eine dreistellige Ziffer auf der Waage. Jeder hat die Möglichkeit, so lautet insgeheim die Botschaft, das Programm zu ändern. Wenn Dietmar Bär nicht gerade als Freddy Schenk neben
Tatort-
Kommissar Ballauf als launiger Instinktbulle ermittelt, dann geht er auch schon mal als begehrter Liebhaber mit Ehedoppelleben (in der ARD-Komödie
Theo, Agnes,
Bibi und die anderen
) durch. In einer seiner Arztrollen reüssiert Rainer Hunold bevorzugt als passionierter Motorradfahrer. Das eigene Erscheinungsbild, der körperliche Makel, so die Botschaft dieser virtuosen Auftritte, ist nicht länger Schicksal. Vieles ist verhandelbar und manches wandelbarer als man denkt. Aber |50| wenn das stimmt, verringert es das Dilemma nicht. Wer jetzt sagt, dass er so bleiben will wie er ist, kann für sein Gewicht auch verantwortlich gemacht werden. Das macht die Dicken, ob sie es wollen oder nicht, zur exemplarischen Figur. Ihre bloße Erscheinung ist ein Indikator für maßlosen Genuss. Man meint ihnen anzusehen, dass sie sich nicht beherrschen können. Das hebt sie unter den Lasterhaften besonders hervor. Wer lasterhaft lebt, versucht es in der Regel zu verbergen, so gut es geht. Aus Scham oder gar Angst vor Strafe behält man es für sich. Der Dicke ist der arme Tropf, dem selbst das nicht gelingt. Er wird sogleich als einer erkannt, der seine Genusssucht nicht unter Kontrolle bringen kann.
Das hat vielfältige Folgen. In der Welt der Schönen und Prominenten wird das Klischee vom gemütlichen, aber unbeherrschten Dicken bisweilen auf bizarre Weise ausgereizt. Neben der neuen Rollenvielfalt muss der Dicke auch weiterhin zur Vorführung seines körperlichen Stigmas herhalten. Der massige Schauspieler Günther Strack wurde in einer Fernsehshow öffentlich gewogen, und jedes Gramm brachte bares Geld für einen guten Zweck. Trotz seiner selbstlosen Wohltat sah er auf dem wackeligen Gestell nicht sonderlich glücklich aus. Einem anderen erging es noch ärger. Wenn der frühere Fußballmanager Rainer Calmund nach dem Überschreiten seiner beruflichen Höchstleistungen beim Tingeln durch verschiedene Fernsehformate sich schließlich bei Stefan Raab auf ein Sportgerät befestigen lassen muss, das dem asiatischen Gartopf namens Wok nachempfunden ist, um anschließend den Eiskanal der Rodelbahn von Altenberg im Rahmen der sogenannten Wok-Weltmeisterschaft herunter zu rasen, dann verkommt das Dicksein zu einer albernen Varieténummer und die kritische Masse kullert sich. Dabei bekommt nicht jeder die Chance, auf so clowneske Art mit seinen Pfunden umzugehen. Und längst nicht jede kann wie Trude Herr (»Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann«) einen |51| selbstreferenziellen musikalischen Witz über Genusssucht und sexuelle Bedürftigkeit machen.
Man sollte sich allerdings vom amüsanten Plauderton der Kalorienjäger und Fettverbrenner nicht täuschen lassen. Sie haben von qualvollen Exerzitien am eigenen Leib zu berichten. Dass es kein Vergnügen ist, dick zu sein, schildert der Journalist Stephan Bartels gleich auf den ersten Seiten seines Buches
Der Kilo-Killer
, in dem er die Techniken des täglichen Selbstbetrugs karikiert. Die meisten Hungerbiografien erzählen die
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