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Mein schwarzer Hengst

Mein schwarzer Hengst

Titel: Mein schwarzer Hengst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Schwarz
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ein Smartphone. Hier war jemand sehr zufrieden mit den Regeln, die sich seine Altvorderen für die Geschlechter ausgedacht hatten.
    Es war laut und stickig. Früher hatte ich noch gerne g elesen in der U-Bahn, aber inzwischen gelang es mir nicht mehr, mich zu konzentrieren. Ich ließ einfach meine Gedanken schweifen und überlegte mir, wohin meine Lebensreise gehen sollte, als ich auf einmal etwas wiedererkannte. Was war es?
    Ich blickte mich irritiert um, und dann sah ich es. Es war der Hinterkopf eines farbigen Mannes, der am Ende des Wa ggons in der Nähe der Tür stand.
    Es war Marcus.
    Ich weiß bis heute nicht, wie ich so sicher sein konnte. Aber ich hatte seit Tagen nicht mehr an ihn gedacht, also war es keine Obsession. Meine Versuche, die Erinnerung an ihn zu verdrängen, waren durchaus erfolgreich gewesen. Nur mein Unterbewusstsein hatte jeden Quadratzentimeter seine Körpers gespeichert und meldete sich nun vehement.
    Wie ferngesteuert stand ich auf. Ich konnte nicht zu ihm laufen, die Bahn war voller Leute. Aber jetzt hielten wir an, wir waren am Hermannplatz. Marcus stieg aus, und mit ihm viele andere. Schnell schloss ich mich an, und jetzt wusste ich, was Herzklopfen war.
    Ich wollte seinen Namen rufen, aber irgendwas hielt mich ab. Vielleicht würde ich ihn verschrecken? Vielleicht hatte er mich längst vergessen? Und überhaupt – was tat ich hier eigentlich? Einem jungen Mann nachlaufen, der sicher Besseres zu tun hatte, als eine dumme Wachtel wie mich zu trösten, weil sie ihr Leben nicht in den Griff bekam? Was war denn mit seinem Leben? Dem ging es viel dreckiger als mir!
    Er ging federnden Schrittes zur Treppe und stieg nach oben. Ich hatte recht gehabt, er war es. Ich konnte kurz sein Gesicht ausmachen, aber das war gar nicht nötig. Sein wu nderschöner Hintern bewegte sich unter den Jeans wie zwei raufende Kätzchen. Tut mir leid, wenn das albern klingt, aber ich will damit nur sagen, wie entzückend Marcus‘ Po ist, auf einer Ebene, die über das Erotische hinaus geht. Er war wie eine lebende griechische Statue. Während ich ihm starren Blicks folgte und sonst niemanden wahrnahm, fiel es mir auf.
    Er trug noch immer mein T-Shirt!
    Ich war glücklich. In meinem völlig verdrehten Hirn war das für mich eine Liebeserklärung epischen Ausmaßes. Schnell hinterher, ihn ansprechen, ihn umarmen... und was dann?
    „Vorsicht, Mädchen!“
    Ich hatte einen älteren Herrn angerempelt, den ich gar nicht registriert hatte, so fixiert war ich auf Marcus. Ich entschuldigte mich hastig und ging weiter in die Richtung, in die mein schwarzer Ritter gegangen war.
    Es war ein großes Gedränge auf der Treppe nach dra ußen, und als ich schließlich wieder an der Erdoberfläche war, geriet ich in Panik – ich sah Marcus nicht mehr.
    Heiß und kalt durchlief es mich. Ich drehte mich in alle Richtungen und versuchte, den gesamten verdammten He rmannplatz zu überblicken, der mir riesig erschien. Ich sah mehrere farbige Menschen, so wie es normal war in den ärmeren Stadtteilen von Berlin. Aber keiner war der große, schlanke Liberianer, nachdem ich mich verzehrte.
    Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog. Angst. Brutale, grausame Angst, eine letzte Chance vermasselt zu haben. In dieser Stadt konnte man einem Menschen zehn Ja hre lang nicht begegnen, selbst wenn man im selben Viertel wohnte. Es war ein Geschenk des Himmels gewesen, dass ich Marcus noch einmal sehen konnte, und jetzt hatte ich dieses Geschenk nicht geöffnet.
    Mir kamen wieder die Tränen. Blöde Gans , schimpfte ich mit mir, hättest du ihn doch nur gerufen! Du verdienst es nicht, glücklich zu werden!
    Ich taumelte irgendwie vom Platz runter in eine der Se itenstraßen, wo sich Dönerbuden und Internet-Cafés aneinanderreihten. Ich stolperte ziellos voran und kämpfte gegen die Tränen. Leute sahen mich besorgt an.
    Hausfassad en, Geschäfte, Fenster, Türen. Gesichter, Menschen, Autos. Gerüche, Farben, Geräusche.
    Alles verschwamm. Ich ging einfach weiter, und irgen dwie schaffte ich es, nicht überfahren zu werden. Einmal hielt mich ein junger Türke gerade noch rechtzeitig am Arm fest, bevor mich ein Kleinlaster anfuhr. Er war sehr besorgt.
    „Brauchen Sie Hilfe?“ fragte er. „Sie müssen aufpassen!“
    „Ich... danke“, murmelte ich, „ich pass auf...“
    Das beruhigte ihn nicht, und so begleitete er mich ein paar Schritte. Ohne es zu merken, war ich in Richtung Hasenheide gelaufen, dem großen Park zwischen Neukölln und

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