Mein skandaloeser Viscount
Platz genommen hatte, lehnte sich in die Polster zurück, um sich den Anschein der Gelassenheit zu geben, wonach ihm beileibe nicht zumute war. „Er wird kommen. Er pflegt sich zu jeder Verabredung eine halbe Stunde zu verspäten. Da er es hasst zu warten, lässt er andere warten. Sozusagen sein Markenzeichen.“
Giovanni wischte sich mit einer Hand über die Stirn, sein Saphirring funkelte im Kerzenschein. „Überlege dir bitte genau, was du tust. Für einen Toten hat Ehre keine Bedeutung.“
Jonathan fuhr mit den Fingern über die vergoldeten Schnitzereien der Armlehnen. „Noch bin ich nicht tot.“
Seufzend schüttelte Giovanni den Kopf. Dann hielt er jäh in seiner rastlosen Wanderung inne und klatschte in die Hände. „Ich hab’s.“
Jonathan beäugte ihn argwöhnisch. „Was hast du?“
Giovanni grinste. „Die Behörden unternehmen nichts. Aber die Sei tun etwas.“
„Die sechs?“ Jonathan zog die Brauen zusammen. „Was zum Teufel ist das?“
Giovanni näherte sich ihm und fuchtelte aufgeregt mit den Händen durch die Luft. „Nein. Nicht was. Wer. Sechs Männer, deren Ziel es ist, Duellanten ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Sie haben dieses Bündnis vor Jahren geschlossen und bereits viele mächtige Männer vor Gericht gebracht. Nicht nur hier in Venedig, sondern in ganz Europa. Ich bin mit ihrem Kontaktmann bekannt.“
Jonathan hörte ihm mit unbewegter Miene zu.
Giovanni beugte sich über ihn. „Wenn die Sei von diesem Duell erfahren, schicken sie ihre Leute, um den marchese auf dem Duellplatz festzunehmen, und sie kennen keine Gnade. Aber sie nehmen auch dich fest, Remington, da sich stets beide Seiten verantworten müssen. Das bedeutet, dass du mit Victoria noch heute Nacht Venedig verlässt. Noch bevor der Kontaktmann informiert ist.“
Doch Jonathan war nicht bereit, klein beizugeben. Diesmal nicht. „Nein. Ich habe mich einmal von diesem Schurken einschüchtern lassen und fünf Jahre meines Lebens verloren. Ich werde nicht …“
Der Klopfer an der Pforte tönte durch das Haus.
Jonathan straffte die Schultern. Der Butler war angewiesen, den marchese in den Salon zu bitten und ihn glauben zu lassen, Victoria dort anzutreffen.
In der unheimlichen Stille blickte Giovanni seinen Schwager fragend an.
Jonathan lehnte sich zurück. „Sobald er den Salon betritt, verschwindest du.“
Giovanni blinzelte heftig. „Ich gab Cornelia und Victoria mein Wort, an deiner Seite zu bleiben.“
Jonathan starrte ihn an. „Ich möchte dich nicht noch weiter in die Sache hineinziehen.“
„Was immer auch geschieht, du musst dich strikt an den Ehrenkodex halten.“
„Das tue ich. Ich bin ein Ehrenmann.“
„Wenn du ihn in irgendeiner Form tätlich angreifst, bevor das Duell vereinbart ist und stattfindet, giltst du vor Gericht als Aggressor, falls er zu Tode kommt. Du darfst ihn nicht angreifen. Unter keinen Umständen. Hast du verstanden?“
„Ja.“ Obgleich es der Hand Gottes bedurfte, um ihn daran zu hindern.
Schwere Schritte wurden im Korridor laut.
Der marchese .
Jonathan erhob sich, krümmte und öffnete die Finger in den Handschuhen und wandte sich gefasst der Tür zu.
Im nächsten Moment wurden beide Flügel gewaltsam aufgestoßen, krachten gegen die Wand und brachten die Goldrahmen der Porträts zum Zittern. Im flackernden Schein der Kerzen huschten gespenstische Schatten über die stuckverzierten Wände.
Ein bühnenreifer Auftritt!
Auf der Schwelle stand eine Gestalt im schwarzen bodenlangen Samtumhang – als wäre der Fürst der Finsternis soeben der Hölle entstiegen. Fehlte nur der beißende Schwefeldampf! Er trug eine schwarze Samtmaske, die nur seine stechenden bernsteinfarbenen Augen und seine Kinnpartie freigab. Der marchese war dafür bekannt, seine Geliebten stets getarnt zu besuchen. Er trug keine Maske zweimal und sammelte Masken, wie er Frauen sammelte.
„Lass uns allein, Giovanni“, befahl Jonathan.
Giovanni rührte sich nicht von der Stelle. „Remington …“
„Giovanni“, wiederholte Jonathan. „Ich halte mich an den Ehrenkodex. Aber nur, wenn du gehst.“
„Stupido!“ Giovanni versetzte ihm einen derben Stoß gegen die Schulter, um ihm klarzumachen, dass er das Feld nicht freiwillig räumte, und ging auf die verhüllte Männergestalt zu.
Der marchese trat mit wehendem Umhang und einer leichten Neigung des Kopfes beiseite und ließ Giovanni passieren.
Als seine Schritte im Flur verklungen war, richtete Jonathan seinen
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