Mein skandaloeser Viscount
kennenlernst. Ich möchte, dass du mich so kennenlernst, wie du mich nicht kennenlernen kannst, wenn wir in London bleiben. Ich habe dir einst versprochen, dir Venedig auf unserer Hochzeitsreise zu zeigen, aber daran entsinnst du dich wohl nicht mehr. Ich aber schon.“
„Diese Reise hast du mir in deinem ersten Brief versprochen.“ Sie legte eine flache Hand ans kühle Wagenfenster und betrachtete sie sinnend. „Du hast den Wunsch, mir in Venedig den Hof zu machen, um mich zu überreden, bei dir zu bleiben. Habe ich recht?“
Er schmunzelte. „Ob ich mir das wünsche, bella ? Nein. Ich werde es tun.“
„Ich will dich nicht verletzen“, flüsterte sie. „Das liegt mir fern.“
„Dann bitte ich dich, mich nicht zu verletzen. Und ich bitte dich, mich zu lieben. So wie du mich einst geliebt hast.“
Die Karosse rollte aus und kam mit einem Ruck zum Halten. Victoria nahm ihre Hand von der Scheibe und wickelte sich den Schal enger um die Schultern. „Bitte begleite mich nicht.“
„Wie es dir beliebt. Ich warte im Wagen, bis du im Haus bist.“
„Danke.“
Der Wagenschlag wurde geöffnet, der Lakai klappte das Treppchen herunter.
„Gute Nacht, Victoria“, verabschiedete Jonathan sich höflich. „Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen. Als meine Gemahlin.“
Sie warf ihm einen letzten Blick zu, bevor sie sich aus der Kutsche helfen ließ.
Jonathan saß vorgebeugt und blickte ihr nach, wie sie durch das schmiedeeiserne Tor schritt und die breiten Steinstufen erklomm. Nachdem sie ins Haus entschwunden war, sank er in die Polster zurück und klopfte gegen das Wagendach, um zu Graysons Haus gefahren zu werden.
Er konnte nur hoffen und beten, dass er keinen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Denn er trieb ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, ein Spiel, mit dem er alles zunichtemachen konnte, nicht nur den Rest, der von ihrem Herzen übrig war, sondern auch ihr Leben und das seine.
Vier Uhr morgens
Im Dunkeln auf dem Boden kauernd, starrte Jonathan auf die Umrisse seines Schiffskoffers am Fuße des Baldachinbettes. Cornelia hatte ein Fläschchen Laudanum in eine der Seitentaschen gesteckt und darauf beharrt, er werde es brauchen. Aber er weigerte sich, auch nur einen Tropfen der Tinktur zu nehmen, die der venezianische Arzt ihm gegen seine Schlaflosigkeit verschrieben hatte, selbst wenn er nie wieder Schlaf finden sollte. Die marchesa hatte die Droge jede Nacht eingenommen, war abhängig davon geworden, und er wusste um die zerstörerische Wirkung dieses Giftes.
Er zog es vor, wach zu bleiben.
Er war ohnehin zu aufgewühlt, um zur Ruhe zu kommen. Was musste Victoria von ihm denken, nach allem, wozu er sie in der Kutsche genötigt hatte? Sie musste ihn für abartig, besessen und von Sinnen halten. Damit hatte sie vermutlich recht. Er sehnte sich so verzweifelt danach, das wiederzugewinnen, was sie einst verband, dass er seine Vernunft und seinen Stolz verloren hatte.
„Merda.“ Jonathan rieb sich mit einer Hand über das Gesicht, kam wütend auf die Beine, die Silberkette um seinen Hals schwang an seiner nackten Brust. Er griff nach dem Schlafrock am Fuße des Bettes und warf ihn über, band den Gürtel und stieß den Atem aus.
Er legte sich aufs Bett, zwang sich, die Augen zu schließen und auf seine Atemzüge und das unruhige Pochen seines Herzens zu hören. Drei Stunden bis zum Morgengrauen. Mehr brauchte er nicht, um zu überleben. Drei Stunden.
SKANDAL 11
Die Aufregungen, denen eine Braut im Verlauf der Hochzeitsvorbereitungen und während der feierlichen Trauung ausgesetzt ist, übertreffen selbst die schlimmsten Befürchtungen einer perfekt vorbereiteten Dame. Diese Mühen stellen allerdings symbolhaft die Einführung in ihren neuen Lebensabschnitt dar, den sie zu schultern hat. Eine vollendete Dame wird indes die Erwartungen beider Familien erfüllen und die Hochzeitsfeier bravourös meistern, wie sie jede andere Situation meistert.
Wie vermeidet man einen Skandal, Autor unbekannt
Sechs Tage später
Vormittags
Stadthaus der Linfords
N ein!“, brüllte der Earl wie ein Stier zwischen gequältem Schluchzen. „Nein!“
Victoria vermied es, ihren Vater anzusehen in der Befürchtung, den letzten Rest ihrer Fassung und das Bewusstsein zu verlieren.
Ihr Vater hörte nicht auf zu schreien. Schreie, die von den Wänden widerhallten, ihr zusetzten und den Magen verkrampften. Sie hob den Blick zur hohen Stuckdecke im Bemühen, sich zu beruhigen, und bedauerte, nicht zugelassen
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