Mein Sommer nebenan (German Edition)
sind ja mal Neuigkeiten.«
Die Unterhaltung wird unterbrochen, als der Kellner kommt, um unsere Bestellung aufzunehmen. Wir sind immer noch zu wohlerzogen oder zu gut trainiert, um vor Fremden Gefühle zu zeigen. Als er wieder weg ist, greift Mom nach dem Seiden-Cardigan, den sie über ihre Stuhllehne gehängt hat, und zieht etwas aus der Tasche.
»Ich denke, dann ist das ein guter Moment, um euch das hier zu zeigen.« Sie faltet langsam ein Blatt Papier auseinander, streicht es mit der Hand glatt und legt es zwischen Tracy und mich.
»Zu verkaufen! Traumhaus! In exklusiver Wohngegend in einem der schönsten Küstenorte Connecticuts, am Ende einer ruhigen Sackgasse gelegen, übertrifft dieses Juwel mit seiner topmodernen Ausstattung, den edlen Parkettböden und seiner erstklassigen Lage in Strandnähe alle Ihre Vorstellungen! Für ausführlichere Informationen wenden Sie sich bitte an Postscript Realty.«
Ich starre verständnislos auf den Computerausdruck, aber Tracy begreift sofort.
»Du willst unser Haus verkaufen? Wir ziehen um?«
»Samantha und ich ziehen um. Du wirst dann ja bereits weg sein«, entgegnet Mom, und in ihrer Stimme ist ein leiser Hauch der früheren Schärfe zu hören.
Erst in diesem Moment erkenne ich unser Haus auf dem Foto. Es wurde aus einem Blickwinkel heraus aufgenommen, aus dem ich es selten sehe – vom Grundstück gegenüber der Garretts aus.
»Es ist das Vernünftigste«, sagt Mom resolut, als der Kellner lautlos einen Teller mit mariniertem Gemüse vor sie hinstellt. »Das Haus ist für zwei Leute zu groß. Zu …« Sie verstummt und spießt eine getrocknete Cranberry auf. »Der Makler meinte, sie haben es in spätestens einem Monat verkauft.«
»In einem Monat!«, ruft Tracy. »Das heißt, du willst in Samanthas letztem Jahr auf der Highschool umziehen? Wohin überhaupt?«
Mom nimmt eine Gabel von dem Salat, kaut und tupft sich anschließend den Mund ab. »Ach, vielleicht in eine Wohnung in einem dieser neuen Apartmentkomplexe in der Nähe der Bucht. Nur bis klar ist, wie es weitergeht. Für Samantha wird sich nichts ändern. Sie geht weiter auf die Hodges Academy.«
»Klar«, murmelt Tracy. »Gott, Mom. Hat sich für Samantha nicht schon genug geändert?«
Ich sage nichts dazu, obwohl Tracy natürlich recht hat. Das Mädchen, das sich zu Beginn der Sommerferien mit ihrer besten Freundin Nan zusammen den Kopf darüber zerbrach, was aus Tim werden sollte, das den neuen Freund ihrer Mutter nicht besonders sympathisch fand und niemandem etwas von dem Jungen erzählte, in den sie sich verliebt hatte, kommt mir jetzt selbst ganz fremd vor.
Andererseits haben die wirklich einschneidenden Veränderungen sowieso schon stattgefunden, sodass ich den Umzug nicht mehr als so schlimm empfinde.
Unser Haus ist für Mom immer eine Art persönliches Meisterwerk gewesen, der Beweis dafür, dass sie von allem nur das Beste verdiente. Das, was ich daran am meisten geliebt habe, war meine Aussichtsplattform auf dem Dach. Viele Jahre lang verkörperte sie das, was ich war. Das Mädchen, das die Garretts beobachtete. Das Mädchen, dessen Leben nebenan stattfand.
Aber inzwischen bin ich nicht mehr heimliche Beobachterin, sondern führe das Leben, das ich mir erträumt habe. Das, was Jase und mich verbindet ist real. Ich beobachte nicht mehr aus der Ferne, sondern nehme aktiv teil. Und daran wird auch ein Umzug nichts ändern.
Dreiundfünfzigstes Kapitel
H eute ist Labor Day. Morgen fängt die Schule wieder an, mit Unmengen an Hausaufgaben, Leistungskursen und hohen Erwartungen. Als ich die Augen öffne, kann ich die Veränderung geradezu spüren: Die Luft ist kühler geworden, die neuenglischen Sommertage neigen sich dem Herbst entgegen. Es ist noch dunkel, als ich mit dem Fahrrad an den Strand fahre, um zu schwimmen. Nachdem ich mein Training beendet habe, lasse ich mich noch ein bisschen auf den Wellen treiben und schaue zu den Sternen auf, die am Himmel verblassen. In diesem Herbst werde ich wieder ins Schwimmteam zurückkehren, das ist sicher.
Ich bin noch vor Sonnenaufgang wieder zu Hause und komme gerade aus der Dusche, als ich seine Stimme höre.
»Samantha! Sam!« Ich rubble mir mit dem Handtuch die Haare und gehe zum offenen Fenster. Mittlerweile ist es so hell, dass ich Jase sehen kann, der unten neben dem Blumenspalier steht und etwas in der Hand hält.
»Achtung! Aus dem Weg!«, ruft er zu mir hoch.
Ich trete vom Fenster weg und kurz drauf segelt in einem perfekten Bogen eine
Weitere Kostenlose Bücher