Mein Tag ist deine Nacht
lächelte.
»Heute ist etwas Schreckliches passiert.«
»Oje. Das klingt ja nicht gut. Möchtest du heute Abend mit mir etwas trinken gehen und darüber reden?«
Ich knipste die Tischleuchte an und sah auf die Uhr. Es war halb sechs.
»Das wäre toll, Dan. Wo sollen wir uns treffen?«
»Ich komme und hole dich, sagen wir …, um acht Uhr ab?«
»Neun wäre besser, wenn’s dir nichts ausmacht«, sagte ich und dachte rasch nach.
»Also kein Kurs mit deiner Freundin Clara?«
Zerknirscht erinnerte ich mich an meine Lüge. »Nein, in den gehe ich nicht mehr.«
»Dann bis neun!«
Als ich aufgelegt hatte, drehte ich mit Frankie noch schnell eine Runde. Es war seltsam, wie winterlich nach der Zeitumstellung nun alles wirkte, und als wir im Dunkeln wieder umkehrten, zitterte ich trotz des Mantels. Ich wünschte, ich hätte meinen Schaffellmantel noch, doch der war in die Abfalltonne gewandert.
Vor meiner Verabredung mit Dan duschte ich noch einmal rasch und frischte mein Make-up auf. Dann stellte ich mir neben die Handtasche die Schuhe hin, die ich tragen wollte, und stieg vollbekleidet ins Bett, als der Wecker zehn vor sieben anzeigte. Ich schlief fast unverzüglich ein und wachte in Sekundenschnelle in Laurens Doppelbett wieder auf.
Karen war entzückt, mich zu sehen, als ich angekleidet und bereit, mich um die Kinder zu kümmern, unten erschien, und ich stellte erleichtert fest, dass Grant bereits in die Praxis aufgebrochen war.
»Ich habe mich gefragt, wie du die Kinder nach meiner Abreise nächste Woche in die Schule bringen willst«, meinte sie, stellte die Cornflakes-Packung beiseite und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Wie hast du das jetzt hingekriegt?«
»Jessica geht um neun Uhr aus. Ich bin davon ausgegangen, dass ich dann eigentlich schon wieder von der Schule zurück sein müsste. Ich muss einfach nur aus dem Bett steigen, dann bin ich auch schon ausgehfertig. Ich glaube nicht, dass irgendjemand Lauren heute Vormittag vermisst, wenn ich mich noch einmal ein paar Stunden hinlege.«
»Mein lieber Scholli!«, sagte Karen. »Da wandelst du aber auf einem schmalen Grat.«
»Bis zwölf lege ich mich wieder aufs Ohr, auf die Art habe ich drei Stunden mit meinem Freund zur Verfügung. Dann muss ich aufstehen, weil Lauren um eins einen Friseurtermin hat und mir um halb drei eine Schule gezeigt wird.«
»Hast du ein Mittagessen mit eingerechnet, oder machst du eine Radikalkur?«
»Keine Bange, nach dem Aufstehen esse ich ein Sandwich«, sagte ich und grinste.
»Um welches ›Aufstehen‹ handelt es sich da?«, fragte sie sarkastisch.
»Um das hier«, sagte ich. »Aber in meiner anderen Welt habe ich noch nichts gegessen, folglich hoffe ich, das Trinken mit Dan entwickelt sich zu einem Dinner.«
Sie verdrehte die Augen himmelwärts und richtete ihren Blick dann mit erneutem Interesse wieder auf mich.
»Dan? Ist das dein Freund?«
»Ich habe ihn erst letztes Wochenende kennengelernt«, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass sich ein verträumter Ton in meine Stimme stahl. »Aber er ist alles, was ich mir in meinen wildesten Träumen je vorgestellt habe. Er ist wundervoll.«
»Das ist so verrückt«, meinte Karen und schüttete Müsli in vier Schüsseln. »Du musst dich mit einem eifersüchtigen Mann und einem Liebhaber herumschlagen, dem du den Laufpass gegeben hast und der sich nun als Stalker herausstellt, und die ganze Zeit über bist du in diesen Dan-Typen verliebt. Wie bringst du das nur alles auf die Reihe?«
»Ich habe ja gar keine Wahl, Karen. Mein anderes Leben ist mir so wichtig wie dieses, eigentlich mehr, denn diese Person bin ich wirklich. Für dich ist es nicht real, weil du mich nicht als Jessica kennst, aber ich bin genauso oft dort wie hier.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass du irgendwann mal auf die Nase fallen wirst, Lauren. Du gleichst einem Jongleur, dessen Bälle sich alle gleichzeitig in der Luft befinden.«
»Ich schaffe das schon«, versprach ich ihr und wechselte dann flugs das Thema. »Sind die Kinder schon auf?«
»Ich habe sie gerade geweckt. Die Mädchen ziehen ihre Uniformen an, aber die Zwillinge brauchen noch ein wenig Hilfe.«
Ich eilte nach oben und schaute bei den Jungen hinein, die sich gerade stritten, wer was anzog.
»Na kommt, Jungs«, trieb ich sie an. »Eure Cornflakes weichen auf!«
Ich half Teddy, in eine graue Hose und ein blaues Sweatshirt zu schlüpfen. Bis er fertig war, war Toby schon hinuntergerannt,
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